SuperMarkt: Perfide Enteignung der Massen

SuperMarkt Perfide Enteignung Massen
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Die finanzielle Repression ist längst in vollem Gange. Wer Teile seines versteuerten Arbeitseinkommens in Sicherheit bringen konnte, wird nun Opfer dreister Zinsmanipulationen – durch den Staat.

Aussendungen von Konjunkturforschern sind ja eher selten das, was man mediale Heuler nennt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Zukunft ungern an die Prognosen der Ökonomen hält, vor allem aber an der knochentrockenen Materie, die der Öffentlichkeit vorgesetzt wird. Vergangenen Mittwoch war das völlig anders: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sorgte mit einer Studie für Furore, was einzig und allein an der transportierten Botschaft lag: Reiche sollen über den verpflichtenden Ankauf von Staatsanleihen zur Finanzierung öffentlicher Haushalte eingespannt werden.

Der Tenor in den Internetforen und auf den Leserbriefseiten war einhellig: Klar, allerhöchste Eisenbahn! Schließlich seien mit den Banken ja auch die Vermögen der Reichen gerettet worden, weshalb diese nun gefälligst etwas an die Gesellschaft zurückgeben sollten. Wenn nicht freiwillig, dann eben unter Zwang. Ist die Sanierung des Haushalts einmal geglückt, könnte laut DIW den Reichen das geliehene Geld auch zurückgezahlt werden. Muss es aber nicht.

Rechtsstaat für Feinschmecker. Bemerkenswert an dieser Idee ist nicht nur, dass sie vom größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut kommt. Viel beeindruckender ist, dass die gezielte Enteignung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe durchaus Anklang findet. Nicht nur beim Volk, sondern auch in der Politik. So hält der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Idee „für interessant“. Insbesondere für Länder, in denen das Verhältnis zwischen Steueraufkommen und Privatvermögen nicht stimme, wie er der „FAZ“ anvertraute. Die Gültigkeit der Verfassung (samt Recht auf Eigentum) ist neuerdings also an die Relation von Privatvermögen zu Steueraufkommen gebunden. Wow!

Spätestens jetzt sollten auch die weniger Wohlhabenden unruhig werden. Die Forderung nach „Zwangsanleihen“ zeigt nämlich dreierlei: wie weit sich die Eurokrise bereits fortgefressen hat, wie verzweifelt die Vertreter überschuldeter Sozialstaaten mittlerweile sind und wie weit sie gehen werden, um ihr nicht mehr zu finanzierendes Geschäftsmodell der systematischen Wähleralimentierung über die Zeit zu retten. Man muss kein diplomierter Weltverschwörungstheoretiker sein, um zu erkennen, dass sich der Staat über niedrige Zinsen, steigende Inflationsraten, höhere Steuern und Zwangsanleihen entschulden wird. Im Fachjargon nennt man diese unerfreuliche Kombi „finanzielle Repression“. Gemeint ist damit die Umverteilung von Sparern zu Schuldnern, in diesem Fall zum Staat.

Gelähmte Märkte. Die finanzielle Repression ist auch längst in vollem Gange. Betroffen sind nicht zuletzt die „kleinen Leute“, die unter groß angelegten Manipulationen von Zinssätzen leiden. Gemeint sind nicht die ungeheuerlichen Absprachen großer Banken („Libor-Skandal“), sondern das größte Zinskartell der Welt: die Festsetzung der Leitzinsen durch die Notenbanken. Sie bestimmen die Höhe der Zinsen willkürlich: Nicht Angebot und Nachfrage auf den Geldmärkten sind ausschlaggebend, sondern die Fähigkeit der Nationalstaaten, über Ausgaben Wirtschaftswachstum zu „machen“ und hohe Schuldenberge zu finanzieren.

Eine Fähigkeit, die in ernster Gefahr ist. Konnten europäische Staaten vor zwei Jahrzehnten noch Zinsen von 15 Prozent verkraften, rutschen sie heute schon mit Fremdkapitalkosten in Höhe von sieben Prozent in die sogenannte „Todeszone“. Was wiederum an den explodierten Verbindlichkeiten der Staaten liegt. Allerdings weniger wegen der Finanzkrise, wie immer wieder behauptet wird. Zwar mussten Konjunkturpakete geschnürt und Banken übernommen werden. Der Großteil der Hilfsgelder wurde aber noch nicht schlagend.

Nach oben getrieben wurden die Schulden von den horrenden Kosten des seit Jahrzehnten praktizierten „Deficit Spending“ – des Ankaufs von Wirtschaftswachstum auf Pump. Die Kosten der Finanzkrise haben „nur“ das Fass zum Überlaufen gebracht.


Warum Staaten Banken retten. Nun ist der Europäischen Zentralbank (EZB) verboten, Staaten direkt Geld zu leihen – weshalb sie Banken über Niedrigstzinsen enorme Mengen an billiger Liquidität offeriert, damit diese Anleihen verschuldeter Staaten aufkaufen. Was sie auch bereitwillig tun. Womit sich ein teuflischer Kreislauf in Gang gesetzt hat: Die Banken finanzieren die hohen Schulden der Staaten, die wiederum taumelnde Banken retten müssen, um ihre Geldquelle am Sprudeln zu halten.

Der Staat hilft auch kräftig nach, damit die Banken auch wissen, was sie zu tun haben: Leiht eine Bank einem erstklassigen Unternehmen Geld, muss sie knapp neun Prozent der verliehenen Summe an Eigenkapital aufbauen (für den Fall, dass die Sache schiefgeht). Wird aber einem schlecht wirtschaftenden Staat Geld geliehen, ist kein Cent zur Seite zu legen. Marktteilnehmer werden nicht nur über bilanzielle Anreize zur Finanzierung von Staatsschulden angehalten, sondern auch über Regelwerke, die Großanleger wie Versicherungen zwingen, Kundengelder vermehrt in Staatsanleihen zu parken.

So erfreulich nach unten gedrückte Zinsen für alle Schuldner sind, so verheerend sind deren Folgen: Zu billiges Geld führt seit Jahrhunderten zu Fehlinvestitionen und Spekulationsblasen, deren Platzen eine Spur der Verwüstung hinterlässt. Hinzu kommt, dass sich Sparer schon jetzt nach Abzug von Inflationsrate und Kapitalertragssteuer mit „Negativrenditen“ zufriedengeben müssen. Sie vernichten also auf ihren Sparbüchern Geld und werden auch noch um den Zinseszinseffekt gebracht.

Nun wäre es für die Konjunkturforscher bestimmt eine lohnende Aufgabe, die atemberaubenden Folgen der staatlich gelenkten Niedrigzinspolitik zu beleuchten. Aber wer beißt schon gern die Hand, die einen füttert? Die Ökonomen des DIW sind ja auch nur Menschen.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)


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