Der Mann, der den Untergang des Euro prophezeite

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SuperMarkt Mann Untergang Euro(c) AP (EDDIE ADAMS)
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Staatsführer der 1980er-Jahre hörten auf ihn. Die Notenbanker von heute folgen ihm. Und nicht nur Linke hassen ihn, der Nobelpreisträger musste sich Zeit seines Lebens Beleidigungen anhören: Milton Friedman.

Als sich im April 1947 die wichtigsten liberalen Ökonomen ihrer Zeit auf einem Schweizer Bergrücken namens Mont Pèlerin versammelten, war das Ziel klar: Eine schlagkräftige Strategie müsse her, mit deren Hilfe die Werte der Freiheit global vermarktet werden können, um so den aufkeimenden Staatssozialismus zurückzudrängen. Der Versuch schien schon nach wenigen Stunden im Streit zu enden. Ludwig von Mises sprang wutentbrannt auf, um seinen Gesinnungsgenossen in aller Kürze den Marsch zu blasen: „Ihr seid doch alle nur ein Haufen von Sozialisten!“ Was den Geldtheoretiker so in Rage brachte, war die Diskussion darüber, wie viel Raum der intervenierende Staat im liberalen Denken haben soll.

Allein diese Frage zu stellen war für Mises abwegig.
Unter den beschimpften Gästen war auch ein gewisser Milton Friedman. Der Nobelpreisträger des Jahres 1976 musste sich Zeit seines Lebens jede Menge Beleidigungen anhören – „Sozialist“ steht auf der Hitliste nicht gerade ganz oben. Friedman, der am 31. Juli 100 Jahre alt geworden wäre, war vielmehr die erklärte Hassfigur aller Linken. Das ist er bis heute geblieben, obwohl er seit sechs Jahren tot ist. Er ist nämlich so etwas wie die personifizierte Fratze des neoliberalen Teufels.

Ein Mann, der hauptverantwortlich dafür ist, dass die Nationalstaaten heute so schwer zu leiden haben. Nicht die hohen Staatsausgaben, die seit Jahrzehnten schneller wachsen als die Einnahmen, sind das Problem. Auch nicht intervenierende US-Politiker, die per Gesetz dafür sorgten, dass Banken auch einkommenslosen Bürgern Kredite für den Erwerb von Eigenheimen zu gewähren hatten. Nein, es sind Leute wie Milton Friedman, die der politischen Elite Flausen ins Ohr setzten. Über Friedmans Einfluss auf Ronald Reagan und Margaret Thatcher sei es überhaupt erst zur großen Deregulierung der Finanzmärkte gekommen. Und das, so sind sich alle antiliberalen Ökonomen einig, habe die Exzesse in den obersten Etagen der Geldhäuser erst ermöglicht, weshalb heute kleine Steuerzahler große Banken zu retten haben (Letzteres ist auch nicht ganz gelogen).

Noch mehr als wegen seiner Ansichten verachteten ihn seine Gegner wegen seines Witzes und seines Showtalents. Friedman war der erste große Ökonom, der es verstand, die Massen über den Fernsehschirm zu betören. In eigenen Shows erklärte er in leicht verständlichen Worten, warum höhere Steuern niemals ein Budgetdefizit verringern können (weil jede Steuererhöhung sofort durch Mehrausgaben aufgefressen wird), warum Drogen nicht verboten werden sollen, die Wehrpflicht abzulehnen sei und der Staat die Kinder nicht selbst unterrichten solle, sondern lieber deren einkommensschwachen Eltern Bildungsschecks schicken solle (damit sie diese bei der Schule ihrer Wahl einlösen konnten – womit aus Bittstellern zahlende Kunden werden).

Friedman, der Soziale. Noch heute wird Milton Friedman von seinen Widersachern gerne als eiskalter Rationalist inszeniert. Ein asozialer Rechner, der für Schwache nichts übrig habe. Dabei war es Friedman, der als erster ein bedingungsloses Grundeinkommen forderte. Menschen mit niedrigen Einkünften sollten über „Steuerausschüttungen“ Zuwendungen vom Gemeinwesen erhalten. Was ihm liberale Wegbegleiter bis heute nicht verziehen haben.
Im Gegensatz zu seinen Kollegen John Maynard Keynes und Friedrich A. von Hayek machte er auch Bekanntschaft mit bitterer Armut. Friedman war das vierte Kind jüdischer Einwanderer, die dem österreichisch-ungarischen Galizien entflohen, um in den USA das große Glück zu suchen. Vorgefunden haben sie vorerst nur ein Leben voller Entbehrungen. Seinen Vater verlor er früh, weshalb sich der hochbegabte Bub sein Schulgeld mit Gelegenheitsjobs selbst verdienen musste.

Warum er „trotzdem“ überzeugter Kapitalist wurde? „Der große Verdienst des Kapitalismus liegt nicht in der Anhäufung von Besitz. Sondern in der Vielzahl von Möglichkeiten, die er den Menschen zur Ausweitung, Entwicklung und Verbesserung ihrer Fähigkeiten verschafft“. Friedman nutzte seine intellektuelle Grundausstattung nach Kräften. Er zerpflückte das noch heute geltende Dogma, wonach Depressionen nur durch höhere Staatsausgaben überwunden werden können. Diese schaffen aber keine Jobs, sie beschleunigen nur die Entwertung des Geldes.

In seinem 1963 veröffentlichten Werk „A Monetary History of the United States“ wies Friedman nach, dass die große Depression der 1930er-Jahre nicht die Folge von zu wenig Konsum gewesen sei. Auch habe nicht der Kapitalismus versagt, es waren die Notenbanker mit der Verringerung der Geldmenge. So sieht das übrigens auch Ben Bernanke, aktueller Präsident der US-Notenbank „Fed“. Wenn er meint, die Märkte müssten in depressiven Phasen mit Geld geflutet werden, beruft er sich dabei auf Milton Friedman.

Friedman, der Unberechenbare. In der Art der Krisenbekämpfung war er also deutlich näher bei Keynes als bei den erzliberalen „Österreichern“. In seiner gefestigten Skepsis gegenüber dem intervenierenden Staat war es genau umgekehrt. Mit Hayek teilte er auch die Erkenntnis, die Keynes gänzlich fremd war: Nämlich jene, alles Mögliche zu sein, nur eines nicht: unfehlbar.
Nicht gerade widersprechen kann man Friedmans Aussagen vor der Einführung des Euro. Dieser müsse am Ende einer politischen Union stehen, nicht am Anfang. In einem Interview mit der „Presse“ vom 12. Dezember 1997 sagte er: „Ich prophezeie, der Euro wird bald nach seiner Einführung auseinanderbrechen [. . .]. Die Zentralbank wird den Euro ausgeben, um Anleihen zu kaufen – französische, deutsche, österreichische, spanische. Die Franzosen werden wollen, dass die Zentralbank französische Anleihen kauft, die Österreicher werden österreichische Anleihen vorziehen. Können Sie sich die Konflikte vorstellen, die daraus unter den Gouverneuren entstehen?“

Ja, das können wir.

franz.schellhorn@ diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2012)


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