SuperMarkt: Das Wunder von Wien

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Das anerkannte US-Magazin »Foreign Policy« ist dem »Austrian Miracle« auf der Spur – und macht dabei ziemlich erstaunliche Beobachtungen. Was Kapitalismus kann und wofür er nichts kann.

Die vergangene Woche war für dieses Land wohl eine der besten des laufenden Jahres. Die Ratingagentur Fitch bescheinigt dem Schuldner Österreich allerbeste Bonität, und das renommierte US-Magazin „Foreign Policy“ schwärmt geradezu verliebt vom „österreichischen Wunder“. Die zur Washington-Post-Gruppe gehörende Publikation ist hingerissen vom kleinen Alpenvölklein, das die niedrigste Arbeitslosenrate Europas aufweist und dessen Wirtschaft auch noch wächst und gedeiht, wenn die Prognostiker schon mit gesenkten Häuptern durch die Straßen der besten Stadt der Welt streifen. Wer es nicht mitbekommen haben sollte: Wien ist laut einer Studie des Beratungsunternehmens Mercer jene Stadt, in der es sich weltweit am besten lebt.

So etwas hört man gerne in einem Land, das es in jüngerer Zeit nur noch mit grauenhaften oder peinlichen Erzählungen auf die Titelseiten internationaler Medien geschafft hat. Jetzt sind wir wieder wer, zumindest in punkto Staatsführung und guten Wirtschaftens, man kann das gar nicht oft genug sagen. Die im Ausland wissen gar nicht, wie viel Lob wir vertragen können.

Besonders gilt das für jene, die den Staat immer wieder gegen unfaire Angriffe verteidigen. Oder für jene, die tagtäglich von heimischen Medien für ihr Tun geprügelt, aber jetzt von ausländischen Beobachtern rehabilitiert werden. Wie zum Beispiel Finanzministerin Maria Fekter, die das von Fitch bestätigte „AAA“ dem konsequenten Reformkurs der Regierung geschuldet sieht, der stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik und den starken heimischen Institutionen, den flankierenden Geländern des „österreichischen Weges“.

Genau so sieht das auch „Foreign Policy“. Dass Österreich so gut dastehe, liege nicht zuletzt an der funktionierenden Sozialpartnerschaft. Und am „great Chancellor“ Bruno Kreisky, der das „österreichische Wunder“ erst möglich gemacht hat. „Weil 50 Prozent der österreichischen Industrie in Staatshand blieb, hatten fast alle Menschen in Österreich die Chance, ihre Ausbildung abzuschließen und einen guten Job zu finden – mit der Aussicht auf eine gute Rente am Karriereende.“ Eine vergleichsweise originelle Sicht der Dinge. Angeblich soll es ja noch Menschen geben, die sich an den kolossalen Zusammenbruch der verstaatlichten Industrie erinnern. An die Unsummen, die in den öffentlichen Industriehallen versenkt wurden und an die tausenden Arbeitslosen, die nach Jobs suchten. Aber die Zeit heilt eben alle Wunder, wie die deutsche Band „Wir sind Helden“ weiß.

Dabei ist dieses Land tatsächlich reich an Wundern. Dass sich eine hart arbeitende Bevölkerung Monat für Monat von Vater Staat das Lohnsackerl ausräumen lässt, um nach erledigtem Raubzug noch artig „Danke“ zu sagen und mitanzusehen, wie das Geld von 22 Sozialversicherungsträgern und zahllosen Verwaltungseinheiten verspeist wird, ist eines dieser schwer zu erklärenden Naturereignisse. Zweifellos ein Wunder ist, dass sich hierzulande immer wieder Unternehmer finden, die bereit sind, ihre ganze Existenz für eine Idee einzusetzen, um im Falle des wirtschaftlichen Erfolges den Gewinn mit einem Staat zu teilen, der sich nicht mehr blicken lässt, wenn die Sache schiefgeht.

Ein schwer zu erklärendes Phänomen ist wohl auch, dass hierzulande noch immer von „konsequenten Reformkursen“ zu hören ist, obwohl der Bundeshaushalt seit 58 Jahren ununterbrochen im Minus ist.

Zu den unerfreulichen Wundern zählt das Faktum, dass es in Österreich noch immer Armut gibt. Und das, obwohl der Staat pro Jahr an die 90 Milliarden (nicht Millionen) Euro unter dem Titel „Soziales“ verteilt – und dennoch Menschen materielle Not leiden müssen. Weil zu wenig gegeben wird? Weil es zu wenig Solidarität gibt? Nein, weil im staatlichen Umverteilungsmoloch zu viel Geld verschwindet – und sich niemand fragt, warum das so ist.

Höchst wundersam ist auch, wie sich Rechnungshofberichte zu riesigen Türmen stapeln, ohne dass auch nur ein politischer Amtsträger mit dem Ohrwaschel wackeln müsste. Wie ungestört der Staat bei jedem seiner größeren Bauprojekte die geplanten Kosten in wenigen Jahren verdoppeln darf – ohne dass auch nur ein Staatsanwalt danach fragt, wie so etwas möglich ist. Ob es daran liegt, dass die Bevölkerung vor der Auftragsvergabe mit niedrigen Projektkosten getäuscht wird, oder ob die Kostenexplosionen einfach nur „part of the game“ sind.

Nichts als ein Wunder ist der unerschütterliche Glaube an das österreichische Pensionssystem. Dabei sind im Bundeshaushalt jährlich 18 Milliarden Euro bereitzustellen, um die Renten ehemaliger Staatsbediensteter zahlen und die Löcher in den öffentlichen Pensionskassen stopfen zu können. Das sind knapp 40 Prozent der Netto-Steuereinnahmen des Bundes (Steuern minus EU-Beitrag und Anteile der Länder und Gemeinden). 40 Prozent der Einnahmen sind also bereits verbraucht, bevor ein öffentlich Bediensteter entlohnt ist, Zinsen für die Staatsschulden bezahlt sind, eine Autobahn geteert oder eine Schule umgebaut wird. Was Pensionistenlobbys und Gewerkschafter nicht daran hindert, dem staatlichen Pensionssystem das Gütesiegel „absolut sicher“ umzuhängen.

Bleibt das wohl schmutzigste Geheimnis dieses Landes: das österreichische „Jobwunder“. Es ist nämlich keines. Was jedem klar wird, der sich einmal in den Schulungsräumen des AMS umschaut. Oder in der Statistik kramt, um das faktische Pensionsantrittsalter mit jenem anderer Länder zu vergleichen, die in der Arbeitslosenstatistik etwas weiter hinten auftauchen. Und sich ansieht, wie lange in Österreich ein Studium im Schnitt dauert (13 Semester) und wie lange in vergleichbaren Staaten (8 Semester). Um zu erkennen, in welchem Alter Akademiker auf den Arbeitsmarkt drängen und statistisch als arbeitssuchend erfasst werden.

All das zeigt: Österreich ist ein wunderschönes Land, in dem es sich hervorragend leben lässt. Aber auch eines, das mit ganz normalen Problemen zu kämpfen hat. Ein Land, dessen Politiker nicht alles falsch machen, aber vieles. Ein Land, in dem tüchtige Beschäftigte und findige Unternehmer für Prosperität sorgen. Aber auch eines, in dem seit vielen Jahrzehnten Wohlstand konsumiert wird, der nie erwirtschaftet worden ist. Das ist kein Wunder. Sondern nur eine Erklärung für Österreichs gigantischen Schuldenberg. Auch wenn sich das noch nicht bis in die Redaktionsräume von „Foreign Policy“ durchgesprochen haben dürfte.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2012)


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