SuperMarkt: Ein Volkstribun namens "Heini"

SuperMarkt Volkstribun namens Heini
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Ein Schuhfabrikant aus dem Waldviertel hält das ganze Land in Atem. Und macht aus knallharten Regulierern überzeugte Marktwirtschafter. Hut ab!

Heinrich „Heini“ Staudinger ist das, was man landläufig ein PR-Genie nennt. Der Fabrikant des ästhetisch nicht ganz unumstrittenen Schuhwerks „Waldviertler“ hat nicht nur die Herzen seiner Landsleute im Sturm erobert, sondern gezeigt, wie man eine unerfreuliche Erfahrung mit seiner Hausbank zur skandalumwitterten Staatsaffäre hochjapst. Das ist aber noch nicht alles: Der „Fall Staudinger“ hat aus glühenden Anhängern einer gnadenlosen Regulierung des Wirtschaftslebens durch den Staat im Handumdrehen Verfechter einer manchesterliberalen Wirtschaftsordnung gemacht – und aus Anhängern eines ungezügelten Laissez-faire-Liberalismus eiserne Proponenten einer knallharten Regulierung.

Nicht schlecht. Gelingen konnte das nur, weil die „Story“ passt. Und die hätte man erfinden müssen, wäre sie nicht tatsächlich passiert: Obwohl seine Firma Gewinne schreibt, wird dem Unternehmer Staudinger von seiner regional verankerten Hausbank die Kreditlinie gekürzt. Woraufhin der Fabrikant von Banken nichts mehr wissen will und sich das benötige Geld einfach von seinen Kunden und Freunden leiht. Ohne Sicherheiten und sonstigen Schnickschnack. Die neuen Geldgeber bekommen vier Prozent Zinsen gezahlt, und das geliehene Kapital kann nach einer dreimonatigen Kündigungsfrist zurückgefordert werden.


Gnadenlose Aufsicht? Die Sache wird zum großen Erfolg, der findige Schuhfabrikant wird von privaten Kreditgebern geradewegs überrannt. Bis, ja bis der Wind die Waldviertler Nachbarschaftshilfe zur mächtigen Finanzmarktaufsicht (FMA) ins ferne Wien trägt. Die Behörde erlaubt sich den schüchternen Hinweis, dass derartige Geschäfte gesetzeswidrig und Banken vorbehalten seien. Andernfalls entstünde ein unregulierter Kreditmarkt, der es Gaunern ermöglichte, gutgläubige Kunden ohne Aufhebens um ihr Geld zu bringen.

Eine Argumentationslinie, die mittlerweile ein ganzes Land entsetzt. Tenor: Einem kleinen Schuhfabrikanten steigt die übermächtige FMA auf die Zehen, während sie bei großen Gaunern alle Augen zudrückt. Mit anderen Worten: Wenn man schon die großen Fische entwischen lässt, dann doch bitte auch Herrn Staudinger. Die Österreicher halten eben immer zum „Underdog“, und wenn ein kleiner Geschäftsmann im Auftrag großer Banken von der Finanzmarktaufsicht drangsaliert wird, ist völlig klar, wem hier Solidarität geschuldet ist.

Wie mehrheitsfähig diese Meinung ist, zeigt sich vor allem daran, dass sich nicht nur die Boulevardmedien und die versammelte Linke auf die Seite Staudingers geschlagen haben, sondern auch Christoph Leitl, Wirtschaftskammer-Präsident und verlässlicher Seismograf für den populären Mainstream. Leitl vermittelt seit Wochen zwischen Heinrich Staudinger und der FMA.


Heilende Marktkräfte.
Das führt zur paradoxen Situation, dass plötzlich jene, die gerne über zu strenge Regulierungen klagen (Banken), nun selbst nach ebensolchen rufen. Und dass jene, die für eine kompromisslose Regulierung der Banken durch den Staat eintreten, überhaupt kein Problem damit zu haben scheinen, dass derselbe Staat nun Schuhfabrikanten und anderen Unternehmern den Zugang zum Kreditgeschäft öffnet. Ohne Aufsicht, ohne Rechenschaftspflicht, ohne Sicherheiten – völlig unreguliert.

Die Wahl fällt nicht sehr schwer: Wirtschaftskammer-Präsident Leitl und die ihm assistierenden Deregulierer haben mit ihrem marktwirtschaftlich orientierten Ansatz völlig recht: Jedem Bürger dieses Landes sollte es unbenommen bleiben, sein auf Papier gedrucktes Eigentum zu verheizen, im nächstgelegenen See zu ertränken, auf grünen Casino-Tischen zu vernichten – oder eben dem Geschäftsmann seines Vertrauens auszuhändigen.

Das alles unter der Bedingung, dass die Allgemeinheit nicht belästigt wird, sollte sich Herr Staudinger mit den geliehenen Millionen aus dem Staub machen oder sein Betrieb pleitegehen. In diesem Fall wäre es eben sehr nett, würde dann nicht wieder nach Staatshilfen gerufen, um die bedrohten Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region zu retten.


Vorbild für den Bankensektor. Dieses Prinzip der Eigenverantwortung ließe sich auf den ganzen Finanzsektor ausdehnen. Wer windigen „Investoren“, die mit zweistelligen Renditen werben, sein Geld leiht, soll auch die Folgen seines möglicherweise schlechten Urteilsvermögens tragen. Nicht die Allgemeinheit. Und wenn gut bezahlte Manager große Banken in den Ruin führen, sollten dafür die Eigentümer (Aktionäre) der betroffenen Institute mit dem Untergang ihres offensichtlich schlecht verwalteten Vermögens sanktioniert werden. Nicht die Allgemeinheit.

Schwer zu erklären ist auch, dass die Gemeinschaft der Steuerzahler für Spareinlagen zu garantieren hat. Diese generelle Haftung ist eine eklatante Wettbewerbsverzerrung und ein Blankoscheck für hasardierende Geldhäuser und Anleger. Wer sein Erspartes gesichert sehen will, wird es im Abtausch gegen niedrige Zinsen bei einer seriösen Bank deponieren. Wer höhere Renditen sehen will, wird es einem offensiveren Haus anvertrauen. Das Risiko bleibt derzeit aber bei der Öffentlichkeit – ein höchst eigenartiger Ansatz.

Das Befruchtende an der „Affäre Staudinger“ ist, dass der vom Volk verehrte Fabrikant nicht nur kostengünstig für sein Produkt geworben hat, sondern auch dafür, erwachsenen Menschen mehr Eigenverantwortung zuzugestehen. Das ist sehr erfreulich und längst überfällig. Auch wenn das vermutlich nicht der Zweck der Übung gewesen sein dürfte.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2012)

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