Schulden-Knebel für Ratingagenturen

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Nach Traktorsitzen und komisch gekrümmten Bananen reguliert die EU-Kommission nun die »falschen« Urteile der Ratingagenturen. Viel Spaß.

Als die bundesdeutsche Förderbank KfW am 15. September 2008 der US-Investmentbank Lehman Brothers noch schnell 320 Millionen Euro über das große Wasser schickte, wusste sie noch nicht, dass sie damit Geschichte schreiben würde. Es war die letzte Zahlung, die auf den Konten der US-Bank einging. Wenige Stunden vorher schlitterte Lehman in die Pleite, worüber die Führung der staatlichen KfW ebenso bestürzt wie die drei großen Ratingagenturen  war, deren Geschäftsmodell ja eigentlich darauf abzielt, derartige Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen.
Dasselbe wiederholte sich wenige Monate später mit dem Fall Island. Jenem unterkühlten Land, das versehen mit dem Gütesiegel guter Bonität beinahe bankrottging und zahllose Anleger um viel Geld brachte. Dumm gelaufen, möchte man meinen.
Die EU-Kommission glaubt nicht so sehr an Pech, sondern bestenfalls an konzertiertes Unvermögen. Nachdem die Brüsseler Behörden das Problem unerwünscht geformter Traktorsitze und eigenartig gekrümmter Bananen aus der Welt geschafft haben, kommen nun die „fehlerhaften“ Urteile der Ratingagenturen dran. Ab dem kommenden Jahr müssen die Ratinghäuser für falsche Einschätzungen mit echtem Geld einstehen. Darauf haben sich Nationalstaaten und Europaparlament in der Nacht auf Dienstag verständigt.

Hetzjagd auf Europa? Bemerkenswert an diesem Vorhaben ist freilich, dass den amerikanischen Agenturen pauschal unterstellt wird, europäische Staaten absichtlich schlechter zu benoten, um diese mit vernichtenden Urteilen an den Rand der Staatspleite zu bringen. Dabei war es doch genau umgekehrt: Die Bewertungen waren über Jahre hinweg fast ausnahmslos zu optimistisch, und die rosigen Urteile wurden viel zu spät korrigiert. Die Ratingagenturen steuerten – entgegen der politischen Fama – auch niemals die Märkte, sondern folgten den Einschätzungen der zahllosen Marktteilnehmer mit respektablem Zeitabstand. Das Fieber war also längst gestiegen, als es auch das Thermometer angezeigt hat.
Ausgenommen davon ist interessanterweise Griechenland. Bereits im Jahr 2004 warnte Standard & Poor's vor einer verheerenden Entwicklung des Landes, sollte dessen politische Führung nicht rasch ihren verschwenderischen Kurs korrigieren. Athen, so wurde damals gemutmaßt, werde in spätestens zehn Jahren einen Staatsbankrott hinlegen, falls nicht schnell und entschlossen gegengesteuert werde. Eine richtige, wenn auch falsche Einschätzung – das Land war bereits im Frühjahr 2010 zahlungsunfähig.

Haftung für Politiker. Diese Expertise landete im Jahr 2004 auf den Tischen aller europäischen Spitzenpolitiker, in deren Schubladen sie dann geräuschlos verschwunden war. Was freilich die Frage aufwirft, warum nur Ratingagenturen für Fehleinschätzung haften sollen. Und nicht auch Volksvertreter, die so tun, als hätten sie es an den Augen. Und die bei jeder Gelegenheit einen „über den Konjunkturzyklus“ hinweg ausgeglichenen Haushalt versprechen. Obwohl das schlicht unmöglich ist, wenn selbst in wirtschaftlich hervorragenden Zeiten neue Schulden gemacht werden. Wie in Österreich.
Höchst an der Zeit wäre freilich auch eine finanzielle Haftung für jene Politiker, unter deren Augen die Planungskosten öffentlicher Bauvorhaben prinzipiell um 100 Prozent überschritten werden. Einer österreichischen Eigenheit gehorchend folgen aus derartigen Kostenexplosionen nicht einmal politische, geschweige denn zivil- und strafrechtliche Konsequenzen.
Doch um diese Art der Verantwortung geht es den Kritikern an den Ratingagenturen ohnehin nicht. Sondern darum, die aus Fehlern lernenden Experten von der Arbeit abzuhalten. So dürfen Anleihen europäischer Staaten künftig nur noch an drei Tagen unangemeldet geprüft und bewertet werden (An welchen, ist noch offen. Sehr gut im Rennen sind der Faschingsdienstag, der 1. April und der 24. Dezember.)

Gefürchteter Partyschreck. Europas Schuldnerstaaten wollen sich von den Ratinghäusern eben nicht mehr länger die Party verderben lassen. Zu oft platzten Standard & Poor's, Moody's und Fitch mit unerfreulichen Bewertungen mitten in die Krisenverhandlungen der Eurostaaten. Insbesondere, wenn Griechenland vor der Pleite „gerettet“ wurde. Die gesenkten Daumen der strengen Bonitätsprüfer lösten Panik auf den Märkten aus, wodurch alle erzielten Kompromisse wieder zunichtegemacht wurden.
Seit Frankreich nun auch noch bei Moody's das Aaa verloren hat, herrscht in den Reihen der Regierungschefs helle Aufregung. Nur noch (die zur französischen Holding Fimalac gehörende) Fitch hält Frankreich für einen erstklassigen Schuldner. Ein Land mit einer Staatsverschuldung von 95 Prozent des BIPs und ununterbrochenen Defiziten seit dem Jahr 1974. Warum sich die Politik immer noch so vor schlechteren Ratings fürchtet, ist übrigens kaum zu erklären – ist das Grundproblem doch längst gelöst: Seit die EZB „unbegrenzt“ Staatsanleihen auf den Märkten aufkauft, entkoppelt sich die Finanzierung der Staatsschulden ohnehin von den Märkten. Die Preissignale werden durch die lockere Geldpolitik de facto eliminiert.
Dass es auch ganz anders geht, demonstrierten Länder wie Schweden, die Schweiz und Kanada. Sie alle verfügen über ein solides AAA, weil sie nicht das Thermometer an die Wand geknallt, sondern das Fieber gesenkt haben. Wer diesen Ländern sein Geld anvertraut, muss auch keine Angst vor peinlichen Überweisungen haben. Und das ist ja schon was.


franz.schellhorn@ diepresse.com

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