Ein guter Tag zum Sterben

Heute ist ein guter Tag zum Sterben, dachte Martha Bösenkopf und grinste. Der Spruch hätte auch von ihr sein können ...

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Wer war der Mörder?

Heute ist ein guter Tag zum Sterben, dachte Martha Bösenkopf und grinste zufrieden in sich hinein. Angeblich stammte dieser Spruch von einem alten Indianer, doch hätte er genauso gut von der rüstigen 62-Jährigen sein können. Bekanntlich pflegte man in Wien ein besonderes Verhältnis zum Tod. Dass er darüber hinaus Marthas engster Verbündeter war, wusste nur sie. Ein Blick durch das Fenster der Döblinger Villa bestätigte ihr Gefühl, dass es an der Zeit war. Die letzten gelb gefärbten Blätter des Spitzahorns segelten zu Boden, um unterwegs stumme Zeugen dessen zu werden, was in der Küche vor sich ging. Martha schob das Blech mit dem Apfelstrudel ins vorgeheizte Backrohr, ehe sie sich der Nudelsuppe und den Medikamenten zuwandte. Routiniert drückte sie die Kopfschmerztablette aus der Blisterpackung, füllte Hustensaft in ein Glas Wasser und kippte einen ordentlichen Schuss Truxal-Lösung hinzu, die in dieser Menge unvermeidbar den Tod herbeiführte. Seinen Tod. Heiraten würde sie den alten Grantscherb‘n bestimmt nicht. Auch wenn er sich das wünschte. Nur über ihre Leiche. Oder eben seine. Hermann Oposich hatte die lebenslustige Martha Bösenkopf lange genug genervt. Und die Frau, die die Launen des 71-jährigen Pensionisten seit bald zwei Jahren geduldig ertrug, in seinem Testament bedacht. Ja, es war wirklich höchste Zeit, Hermann zu erlösen. Von der schlimmen Grippe, die ihn seit zwei Tagen quälte. Und von allen weiteren Leiden, die ihn später noch heimsuchen würden. Altwerden war bestimmt nichts für Feiglinge wie Hermann. Niemand wusste das besser als die pensionierte Pflegeschwester.

Hermann döste vor sich hin, als Martha ihm das Tablett mit der frisch gebrühten Hühnersuppe und den Medikamenten ans Bett brachte. Seine Stirn fühlte sich kühler an, seitdem sie ihm die Essigpatscherl verabreicht hatte. Sehr hoch konnte das Fieber nicht mehr sein. Nun, sein Zustand würde sich rasch verschlechtern, wusste Martha. Wenn erst einmal das überdosierte Chlorprothixen wirkte, würde seine Haut heiß, trocken und rot werden, sein Puls rasen und der Herzrhythmus verrücktspielen. Der Bewusstseinsstörung würde die Atemlähmung folgen. Danach war alles überstanden, freute sich Martha. Doch zuerst wollte sie Hermann noch die Nudelsuppe gönnen, die sie eigens für ihn gekocht hatte. Den Apfelstrudel würde er leider nicht mehr genießen können.

Wie gut, dass sie sich rechtzeitig vor ihrer Pensionierung mit diesem Antipsychotikum eingedeckt hatte, das im Pflegeheim in erster Linie der Ruhigstellung aggressiver Patienten diente. In zweiter Linie hatte sie damit schon drei hochbetagte Männer von ihren Leiden erlöst. Wohlhabende Männer, die Martha als Allein- beziehungsweise Haupterbin ihres Vermögens eingesetzt hatten. Zu Recht, wie sie fand. Schließlich hatte sie sich bis zum letzten Atemzug liebevoll um die Alten gekümmert.

Martha war damit durchgekommen. Niemand hatte je Verdacht geschöpft. Hermann war nun der Erste, der im eigenen Bett sterben durfte. Allemal besser als im Pflegeheim, war sie überzeugt und sah zu, wie er seine letzte Suppe schlürfte. Die Medikamente hatte er bereits intus. Als Hermann schläfrig wurde, ließ Martha ihn allein, um die Küche aufzuräumen. Sein Handy hatte sie vorsorglich mitgenommen, die Zimmertür von außen versperrt. Aber so weit würde er aus eigener Kraft ohnehin nicht mehr kommen.

Den Hausarzt verständigte sie, als es längst zu spät war. Hermann Oposich war tot, stellte der Doktor wenig später fest. Verstorben an Herzversagen, das wohl der grippale Infekt ausgelöst hatte, den er selbst tags zuvor diagnostiziert hatte. Dass sich der Zustand seines Patienten innerhalb von 24 Stunden dermaßen verschlechtert hatte, überraschte den Mediziner. Andererseits war Oposich nicht mehr der Jüngste gewesen und sein Herz anscheinend nicht das stärkste. Abgesehen von der Grippe, die jeden erwischen konnte, war er kerngesund gewesen, was der Arzt aber nicht wusste, da Hermann seine Behandlung nur in seltenen Notfällen wie gestern angenommen hatte. Aus Sicht des Doktors schien eine Obduktion jedenfalls nicht nötig.

Erst am folgenden Tag sollte der Leichenbeschauer etwas entdecken, das ihm verdächtig vorkam. „Es muss nichts bedeuten“, hatte er dem Kriminalinspektor berichtet. „Aber in seiner linken Handfläche steht ein Wort, das er vor seinem Ableben mit einem Kugelschreiber geschrieben haben könnte.“ Franz Enter fand es hochinteressant, dass dort „GIFT‘ zu lesen war. Dem Hausarzt war dies entgangen. Dem Mörder des Mannes, so es einen gab, wohl ebenso. Der Staatsanwalt stimmte der Obduktion zu, und der Leichnam landete auf dem Seziertisch der Gerichtsmedizin. Noch ehe ein Ergebnis vorlag, brach Enter auf, um die hinterbliebene Lebensgefährtin des Verstorbenen einzuvernehmen. Den Apfelstrudel, den ihm die freundliche, ältere Dame anbot, lehnte er schweren Herzens ab. Ebenso den Kaffee. Irgendwie traute er Martha Bösenkopf trotz ihrer Herzlichkeit nicht über den Weg. „Herr Oposich und ich waren kein Paar“, erzählte sie. „Ich hab mich lediglich um ihn und seinen Haushalt gekümmert. Irgendeine Aufgabe braucht der Mensch doch.“ Früher habe sie in der Arbeit viel zu viel zu tun gehabt, als dass sie sich ernsthaft auf einen Mann hätte einlassen können. Zusammengelebt habe sie zuvor noch nie mit einem.

Also keine Schwarze Witwe, begrub Enter seinen ersten Verdacht und fragte nun doch nach einem Stück Apfelstrudel, das Martha Bösenkopf ihm freudig servierte. „Der Tod gehört nun mal zum Leben“, meinte sie. „Im Pflegeheim, wo ich gearbeitet hab, sind laufend Menschen gestorben. Und kein Einziger von denen ist vergiftet worden.“ Franz Enter blieb der Bissen im Hals stecken. Bildete er sich das nur ein oder schmeckte der Apfelstrudel bitter? Er hustete, ehe er sagte: „Frau Bösenkopf, Sie kommen am besten mit aufs Revier.“
Was lässt Enter vermuten, dass Martha Bösenkopf eine Giftmischerin ist?

Die Autorin

Claudia Rossbacherhat in Städten von Teheran bis Osaka gelebt und als Model, Texterin und Kreativdirektorin gearbeitet. Seit 2006 schreibt sie Kurzkrimis und Kriminalromane. Ihr Alpenkrimi „Steirerblut“ wurde von Wolfgang Murnberger für den ORF verfilmt und bei der Diagonale 2013 uraufgeführt.

Rafaela Proell

www.krimiautoren.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2013)

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