Pensionsreform: Hurra, wir gehen in Frühpension!

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Künftig soll „der Computer“ darüber entscheiden, wann Menschen in Pension gehen dürfen. Schön wär's. Das österreichische System der Frühpension wird allerdings kein Computer der Welt knacken können.

Karl Blecha weiß, wo den Menschen der Schuh drückt. Versucht beispielsweise die Große Koalition das Pensionsalter automatisch an die steigende Lebenserwartung anzupassen, ist der oberste Vertreter aktiver und noch kommender SPÖ-Pensionisten zur Stelle: Sollte die Regierung so etwas tatsächlich beschließen, dann müsse man halt schon auch wissen, dass künftig nicht mehr die Politik entscheiden wird, wann die Menschen in Pension gehen dürfen. Sondern „die Rechenmaschine“. Der „Blechtrottel“ werde keine Gnade kennen, und das Pensionsalter „über Nacht“ nach oben schrauben, orakelt Blecha.

Da wird er nicht ganz falsch liegen. Weshalb die Gralshüter des Rechts auf vorzeitigen Ruhestand längst zum Kampf rüsten. An deren Spitze finden sich Politiker aus allen Fraktionen, die der Ansicht sind, ein Automatismus sei für das Pensionssystem gänzlich ungeeignet. Weil eben nicht sein könne, dass „der Computer“ ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Menschen entschiede, wann in Pension gegangen wird (interessanterweise halten dieselben Politiker den Automatismus bei der jährlichen Anhebung öffentlicher Gebühren – wie Müllabfuhr, Kanal, Fahrscheine – für eine blendende Idee).

Land der „Hackler“, Land der Invaliden

Wer das Herz am rechten Fleck hat, tritt in Österreich entschieden gegen jede „überfallsartige“ Änderung des Pensionsalters auf. Und wer meint, eine Anpassung des Rentensystems an die jährlich um 80 Tage steigende Lebenserwartung für eine vernünftige Sache halten zu müssen, wählt eben freiwillig die Rolle des Ungustls. Eines Menschen, der älteren Generationen die Frührente als Belohnung für den „Wiederaufbau“ neidet. (Keine Sorge, Sie haben nichts versäumt: Österreich wurde in den 70er-Jahren nicht neuerlich bombardiert. Das längst nicht mehr gültige Wiederaufbau-Argument wird nur gerne jungen Menschen entgegengeschleudert, die ein wenig aufmucken).

Ist das Land einmal in Gut und Böse aufgeteilt, klafft leider immer noch ein Finanzierungsloch gröberen Ausmaßes in der staatlichen Pensionskasse. Ausgelöst wurde es dadurch, dass hierzulande das gesetzliche Pensionsalter seit Jahrzehnten bestenfalls eine Orientierungshilfe ist. Eine Art Frühwarnsystem, das die Bürger daran erinnert, sich rechtzeitig darum zu kümmern, vorzeitig in die Rente gehen zu können.

Und dieses System funktioniert wie ein Uhrwerk. Männer gehen nicht wie vorgesehen mit 65 in Pension, sondern mit 59. Frauen nicht mit 60, sondern mit 57. Um kein Geld zu verlieren, tut man das hierzulande als „Invalider“ (das trifft auf vier von zehn Pensionisten zu) oder als „Hackler“. Die Bürger werden regelrecht dazu eingeladen, diesen Weg zu wählen: Regierungen freuen sich über eine Entspannung am Arbeitsmarkt, Arbeitgeber entledigen sich teurer Mitarbeiter und Gewerkschaften befreien ihre Schäfchen vom harten Joch der Knechtschaft.

Mit 23 den ersten Job, mit 58 in die Rente

Das war nicht immer so. Laut dem Pensionsexperten Bernd Marin meldeten sich die Bürger 1970 statistisch gesehen im Alter von 19 Jahren das erste Mal bei einem Arbeitgeber, gingen mit 63 in Pension und machten mit 77 für immer die Äuglein zu. Heute starten sie ihre Berufslaufbahn mit 23, verabschieden sich mit 58 und werden 82 Jahre alt. Das höhere Alter ist zwar höchst erfreulich, allerdings fehlt jüngeren Generationen immer öfter die Lust, Kinder in die Welt zu setzen. Weshalb das Heer der Einzahler sukzessive ausdünnt, jenes der Pensionisten aber atemberaubend schnell wächst.

Eine seit Jahrzehnten absehbare Entwicklung, auf die der Staat längst zu reagieren gehabt hätte. Das weiß auch Herr Blecha. Schon dessen Parteigenosse und Regierungskollege Hannes Androsch hat (neben vielen anderen) bereits vor 30 Jahren die drohenden Liquiditätsengpässe vorausgesagt.

Der Staat lässt auch die Alten im Stich

Wie heftig diese Engpässe heute sind, ist etwa daran abzulesen, dass die Rentner jährlich darum kämpfen müssen, vom Staat die Teuerung abgegolten zu bekommen. So etwas ist in Europa einzigartig und ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, gegebene Versprechen einzuhalten. Von jüngeren Generationen, die heute in ein System einzahlen, das für sie in der Pension bestenfalls ein nettes „Grüß' Sie“ zu bieten haben wird, nicht zu reden.

Wer verhindern will, dass eine Kombination aus höheren Pensionsbeiträgen der weniger werdenden Aktiven bei gleichzeitigen Pensionskürzungen der zahlreicher werdenden Alten der letzte Ausweg sein soll, wird sich wohl oder übel mit dem Gedanken anfreunden, länger arbeiten zu müssen. An dieser Stelle kommt gerne das Argument, dass es dafür erst einmal die Jobs für die Alten geben müsse. Klar. Aber warum sollten diese Arbeitsplätze hierzulande fehlen, wenn es sie in der gesamten industrialisierten Welt gibt (siehe Grafik)? Ist Österreich so anders?

Keineswegs. Die Menschen handeln rational und schlagen den Weg in die Frühpension ein, weil es sich für sie finanziell rechnet. Das nicht gerade für turbokapitalistische Lebensart bekannte Schweden hat längst auf ein marktwirtschaftliches Anreizsystem umgestellt. Wer in Schweden mit 61 Jahren in Pension geht, bekommt um 28,5 Prozent weniger Rente – in Österreich können Frührentner laut Marin maximal 6,5 Prozent verlieren. Wer in Schweden bis 70 arbeitet, bekommt um 57 Prozent mehr Pension, in Österreich sind es zwölf Prozent.

Für die Einführung eines derartigen Anreiz-Systems braucht es keinen Computer. Sondern nur ein wenig Courage und Verantwortungsgefühl gegenüber jüngeren Generationen. Nicht wahr, Herr Blecha?

OECD

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2008)


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