Der arme Schlucker Staat – eine inszenierte Tragödie

(c) AP (Richard Drew)
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Der Staat bleibt auf Verlusten der Banken sitzen, während Gewinne privatisiert werden. Ein Skandal? Nicht wirklich.

Als ein amerikanischer Aktienanalyst Mitte der Woche von einem Journalisten des US-Senders NSBC gefragt wurde, wie er denn nun die Lage an den Börsen einschätze, griff der Experte zu einem frostigen Vergleich: „Die Situation erinnert mich an die Titanic. Während das Schiff den Eisberg längst gerammt hat, fließt in der ersten Klasse der Champagner noch in Strömen, obwohl die unteren Decks bereits tief unter Wasser stehen.“

Nachdem die Sache mit dem „absolut unsinkbaren Schiff“ bekanntermaßen nicht allzu gut ausging, wollen wir einmal hoffen, dass uns der Eisberg „Finanzkrise“ nicht in die Tiefe reißt. Seit Freitag sieht es auch ganz danach aus, als könnte es nun gelingen, die größten Löcher unter Deck zumindest notdürftig zu stopfen: Nachdem der Senat der Vereinigten Staaten das Paket zur Rettung angeschlagener Banken bereits abgenickt hat, gab auch das Repräsentantenhaus den ersehnten Segen.

Damit ist ein großer Schritt in Richtung Entspannung gesetzt. Der Staat boxt die angeschlagenen Banken raus, indem er ihnen faule Kredite abnimmt, wodurch die Gefahr weiterer Großpleiten vorerst einmal abgewendet sein dürfte.

Böse Turbokapitalisten

Während Hausbesitzer, Anleger und Bankkunden kräftig durchatmen können, werden die Markt-Skeptiker ihren kleinen Triumph in vollen Zügen genießen: Der von den „Neoliberalen“ so schwer gescholtene Staat meldet sich eindrucksvoll zurück, indem er die Insignien der „Geldwirtschaft“ in Sicherheit bringt. In allen Medien laufen seit Tagen Interviews mit Experten, die die Gelegenheit beim Schopf packen und für einen (noch) stärkeren Staat plädieren.

Jetzt könnten sich alle schließlich davon überzeugen, was der viel gepriesene „freie Markt“ alles anrichtet: Unschuldige Steuerzahler müssten über staatliche Hilfspakete für die Misswirtschaft des Turbokapitalismus aufkommen. Nicht nur in den USA, auch in Europa soll es der Staat wieder richten. Das schreit förmlich nach einer Neuorientierung unseres Wirtschaftssystems. Oder wie eine Moderatorin des Radiosenders Ö1 (rhetorisch) so schön fragte: „Ist es denn gerecht, die Verluste zu verstaatlichen, nachdem die Gewinne jahrelang privatisiert wurden?“

Wer sozialisiert hier was?

Natürlich nicht, wird es dem erzürnten Zuhörer am Frühstückstisch entfahren sein. Was für eine Sauerei! Der arme Staat bleibt auf den Verlusten sitzen, während sich die Aktionäre in guten Zeiten die Gewinne schnappten. Nun ist es tatsächlich betrüblich, dass die Verluste der Finanzbranche jetzt „sozialisiert“ werden. sAllerdings sollten die Freunde der Staatswirtschaft auf dem Teppich bleiben. Schließlich ist es keineswegs so, dass der Staat nur die Verluste „sozialisiert“. In kaum einer Disziplin ist die öffentliche Hand nämlich so gnadenlos und brutal wie im Verstaatlichen von Gewinnen privater Unternehmen.

Während die öffentliche Hand nun ausnahmsweise für Verluste der Banken geradezustehen hat, „sozialisiert“ sie die Erträge der Unternehmerschaft dauerhaft. Schreibt eine Aktiengesellschaft Gewinne, schnappt sich der Staat ein Viertel davon. Wird der besteuerte Gewinn ausgeschüttet (was bei Aktiengesellschaften ja durchaus vorkommen soll), wird der bereits versteuerte Gewinn neuerlich mit 25 Prozent Kapitalertragssteuer belegt. Bei Personengesellschaften – vom freiberuflich tätigen Architekten über den Baumeister bis hin zum Tischler – beschlagnahmt der Staat bis zur Hälfte des erarbeiteten Gewinns. Und das Jahr für Jahr.

Die „Sozialisierung“ der Gewinne wird vor allem von jenen gerne unterschlagen, die sich dieser Tage mit aller Kraft für einen stärkeren Staat ins Zeug legen. Die Staatswirtschaft soll schließlich wieder zum Lenker und Denker werden. Ganz so, als müsste der bisher zu nachlässige „Papa Staat“ endlich andere Saiten aufziehen, nachdem das ungezogene Kind namens Marktwirtschaft das familiäre Anwesen in Brand gesteckt hat.

Um das Ausmaß des angerichteten Schadens zu illustrieren, wird den Steuerzahlern dieser Tage auch gerne erzählt, die gewährten Staatshilfen würden den Banken de facto geschenkt. Abgesehen davon, dass die Finanzwirtschaft in der jüngeren Vergangenheit jede Menge Steuern abgeführt hat, werden ihr die Milliarden von den Notenbanken und Regierungen keineswegs geschenkt, sondern „nur“ vorgestreckt. Zumindest in den USA: Banken, die Geld vom Staat nehmen, müssen dem noblen Retter entweder Aktienoptionen einräumen oder sich nach fünf Jahren mit einer Sondersteuer belegen lassen. Etwa, wenn die dem Staat verkauften faulen Kredite weniger wert sein sollten als zum Zeitpunkt der Übernahme.

Eine Frage der Perspektive

Um der Notwendigkeit eines (noch) stärkeren Staates Nachdruck zu verleihen, wird dem verängstigten Publikum auch gerne eingeredet, dass nur der Staat Sicherheit bieten könne. Etwa bei den Pensionen. Ein Blick auf die blutverschmierten Kurstafeln an den Börsen zeige, welches Risiko der Markt in sich trage. Nicht erwähnt wird, dass zum Beispiel der Frankfurter DAX noch immer um 87 Prozent über dem Stand vom Jänner 2003 liegt, der ATX um 125 Prozent.

Freilich fällt auf, dass nach den heftigen Turbulenzen an den Börsen vor allem jene besonders laut nach dem starken Staat schreien, die sich selbst gerne von ihm aushalten lassen. Ob es nun Politiker sind, die in der „Privatwirtschaft“ eine Art Strafexpedition für Unterprivilegierte sehen, oder ob es Wirtschaftsforscher sind, deren Institute von staatlichen Alimenten leben – nicht gerade jene also, die in den unteren Decks der Titanic Platz genommen hätten. 


franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2008)


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