Ökonomischer Analphabetismus

Proell und sein Team
Proell und sein Team(c) APA (Herbert Neubauer)
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Der ökonomische Analphabetismus der Volksvertreter ist für den Wohlstand des Landes vermutlich die größere Gefahr als die Weltwirtschaftskrise. Reformverweigerung zerstört langfristig die Wettbewerbsfähigkeit.

Wer hin und wieder überraschend zu einem komplexen Sachverhalt befragt wird, steht verdammt schnell mit einer Antwort da, für die man sich später ein wenig geniert. Etwa, wenn der populärste Radiosender des Landes Passanten auflauert, um sie zu fragen, was sie denn davon halten, dass nun auch schon Heterosexuelle heiraten wollen. Die Mehrheit der Befragten hat damit kein Problem mehr, solange das junge Glück nur ja keine Kinder adoptiert. Ein bisschen mehr Zeit, und kaum jemand wäre in die geschickt postierte Falle des Mikro-Manns getappt.

Das genau umgekehrte Phänomen zeigt sich im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise. Je länger sie dauert und je mehr die Menschen darüber erfahren, desto peinlicher werden die Antworten. Das gilt nicht zuletzt für die heimische Staatsspitze. Wenn beispielsweise die SPÖ darauf drängt, die Grundsteuern auf „internationales Niveau“ anzuheben, um bei wohlhabenden Hausbesitzern abzukassieren, zeigt sich das Ausmaß des Nichtverstehens wirtschaftlicher Zusammenhänge in seiner vollen Pracht.


Land der Mieter. Abgesehen davon, dass Grundstücke und Immobilien in den seltensten Fällen gestohlen, sondern mit vielfach besteuerten Arbeitseinkommen bezahlt werden (oder wurden), vergessen die SPÖ-Strategen einen zentralen Punkt: Österreich ist ein Land der Mieter. Drei von vier Bürgern wohnen unter fremden Dächern.

Die SPÖ rechnet offensichtlich damit, dass die Vermieter höhere Grundsteuern mit einem achselzuckenden „Da-kann-man-halt-nichts-machen“ hinnehmen werden. Schmecks. Die Grundsteuern sind nämlich Teil der Betriebskosten. Wird also die Abgabe auf Grund und Boden erhöht, steigen automatisch auch die Mieten. Und das nicht zu knapp. Eine Erhöhung auf „internationales Niveau“ bedeutet in etwa eine Vervierfachung der Grundsteuern. Worunter die adressierten „Reichen“ vermutlich deutlich weniger zu leiden hätten als etwa einkommenschwache Jungfamilien.


Eine Klasse für sich ist dieser Tage Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ), die nach dem Finanzministerium das wirtschaftlich wichtigste Ressort des Landes verantwortet. So rechtfertigt Frau Bures milliardenschwere Dauersubventionen an die ÖBB damit, dass mit diesem Geld schließlich tausende Arbeitsplätze abgesichert werden. Richtig. Mit jährlichen Zuschüssen von etwas mehr als 4500 Millionen Euro werden knapp 42.000 (größtenteils pragmatisierte) Jobs erhalten. Um noch etwas präziser zu sein: Jeder Eisenbahnerarbeitsplatz wird von den Steuerzahlern mit rund 107.000 Euro subventioniert. Pro Jahr.

Es ist wohl nur noch eine Frage von Stunden, bis Frau Bures in diesen schweren Zeiten allen 3,3 Millionen Erwerbstätigen des Landes ähnlich viel Sicherheit bieten will wie den Eisenbahnern. Das würde den Staat allerdings 353.000 Millionen Euro im Jahr kosten. Eine Summe, die zwar die jährliche Wirtschaftsleistung aller Österreicher um 70.000 Millionen Euro übersteigen würde, aber was soll's: Leihen wir uns das fehlende Geld einfach aus, ist ja schließlich für einen guten Zweck. Immerhin würde damit die Kaufkraft der Bürger gestärkt und so die Wirtschaft angekurbelt.

Mit diesem schlichten Argument wird von Politikern derzeit auch jede Debatte über mögliche Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben abgewürgt. Gerade jetzt, da es der Wirtschaft ohnehin schon schlecht geht, wollen wir die Kaufkraft der Menschen weiter schwächen? Etwa indem wir den Personalstand der ÖBB kappen, nachdem 42.000 Eisenbahner gerade einmal so viel Umsatz erwirtschaften wie die um ein Drittel kleinere Belegschaft der Schweizer Konkurrenz? Wollen wir ausgerechnet jetzt die Kaufkraft der Beschäftigten in den 19 Gebietskrankenkassen schwächen, indem wir die Strukturen straffen? Ist es klug, ausgerechnet in wirtschaftlich harten Zeiten eine Verwaltungsreform in den Ländern anzugehen, die tausende Beamte dem harten Schicksal der Frühpensionierung zuführen könnte?

„Nein!“ schallt es einmütig aus den Hallen des Hohen Hauses. Das würde die Kaufkraft der öffentlich Bediensteten schwächen und damit die Wirtschaftsflaute weiter verstärken.

Klar, da schwächt man schon lieber die Kaufkraft der Steuerzahler, die mit ihren Abgaben die Misswirtschaft im staatsnahen Bereich zu bezahlen haben. Wäre Österreich etwa so schlank geführt wie die nicht gerade am Hungertuch nagende Schweiz, blieben den Bürgern jährlich 33 Milliarden Euro an Einkommensteuern und Sozialabgaben erspart. Statt die öffentliche Geldverschwendung endlich zu beenden, werden zu deren Fortsetzung kurzerhand neue Geldquellen erschlossen.


Wer schützt hier wen? Es wäre ungerecht, diese Politik der Hilflosigkeit einzig und allein der SPÖ zuzuschreiben. Die ÖVP nickt nicht nur die hemmungslose Neuverschuldung ab. In den vorderen Reihen der prinzipienlos gewordenen Wirtschaftspartei von einst findet sich längst eine Mehrheit für die Einführung neuer Vermögenssteuern (wenn sie nur ja die Bauern nicht trifft!), um so den öffentlichen Bereich vor Ausgabenkürzungen zu schützen. Und die Opposition? Sie applaudiert oder schweigt (was wohl auch besser ist).

Österreichs Politiker können freilich herzlich wenig zur Eindämmung der Weltwirtschaftskrise beitragen. Dafür können sie vieles verschlimmern. Etwa mit einer Politik der Reformverweigerung, die zwar heute Stimmen bringen mag – aber langfristig die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zerstört.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2009)

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