SuperMarkt: Geisterstunde am Zauberberg

SuperMarkt Geisterstunde Zauberberg
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Während die Eurozone um ihre Existenz ringt, denkt auch die österreichische Bundesregierung intensiv über die Zukunft nach. Oberstes Ziel ist ab sofort, die Neuverschuldung zurückzufahren.

Die österreichische Bundesregierung hat also doch noch die Kurve gekratzt. Im allerletzten Moment hat die rotschwarze Koalition den Ernst der Lage erkannt und das Steuer herumgerissen. Ob nun der drohende Zerfall der Eurozone oder der unaufhaltsam scheinende Aufstieg der Freiheitlichen den Blick der Regierungsparteien geschärft hat, ist letzten Endes unwichtig. Entscheidend ist, dass die Große Koalition nun das tut, wofür sie gewählt wurde: regieren. Angesichts ohnehin verheerender Umfragewerte wachsen Kanzler und Vizekanzler über sich hinaus und schrecken auch vor unangenehmen Botschaften nicht mehr zurück.

Oberstes Ziel der Regierung ist ab sofort, die Neuverschuldung zurückzufahren, um die finanzielle Belastung durch Zinszahlungen so niedrig wie möglich zu halten. Andernfalls liefe nämlich auch Österreich Gefahr, seinen budgetären Spielraum zu verlieren und so zum Spielball internationaler Geldgeber zu werden. Deshalb hat sich die Regierungsspitze informell darauf verständigt, die Wege zur Frühpension zu verbarrikadieren. Die „Hacklerregelung“ wird gestrichen, ab dem kommenden Jahr gilt für Frauen und Männer ein einheitliches Pensionsantrittsalter von 65 Jahren. Jeder Bürger kann künftig seinen Pensionsantritt frei wählen – liegt dieser Zeitpunkt vor dem 65.Geburtstag, ist aber mit empfindlichen Abschlägen zu rechnen. Wird später in Pension gegangen, gibt es eine höhere Rente – ein Modell, das in anderen Ländern Erfolge feiert.

Die großen Tunnelprojekte der Bahn werden gestoppt, weil dafür neben dem nötigen Kleingeld auch der Bedarf fehlt. Das Herzstück des Sanierungskurses ist aber der aufgekündigte Finanzausgleich, der über den Sommer neu verhandelt wird, um den Druck auf die Länder und Gemeinden zu erhöhen, kleinere Verwaltungseinheiten zusammenzulegen. Zudem werden die staatlichen Subventionen an die Wirtschaft auf EU-Niveau gedrückt und damit halbiert, wodurch jährlich neun Milliarden Euro „frei“ werden. Allein damit lassen sich die gesamten Zinsen für Altschulden bezahlen.


Die Politik der eingeschlafenen Hand. Das klingt doch schon ziemlich vielversprechend. Unglücklicherweise ist das alles frei erfunden. Die Regierungsparteien haben nämlich nichts dergleichen beschlossen, weder formell noch informell. Während die Eurozone um ihr Überleben kämpft und die zweite Welle der Finanzkrise in Form einer Staatsschuldenkrise konkrete Formen annimmt, hat sich die Bundesregierung der Republik Österreich auf ihrer Klausur vergangene Woche am Semmering dazu durchgerungen, dieser beunruhigenden Entwicklung folgendermaßen zu begegnen.

Der Wirtschaftsstandort Österreich wird einem „Nation Branding“ unterzogen (was darunter zu verstehen ist, weiß zwar niemand so genau, es dürfte sich aber um eine bessere Vermarktung des Wirtschaftsstandortes Österreich handeln), die Presse- und Publizistikförderung neu geordnet, die Lebensmittelkontrolle auf stabilere Beine gestellt, die Luftfahrtstrategie umgesetzt, die Ausbildung der Lehrer überdacht, die Verwaltungsgerichtsbarkeit reformiert, der schwer defizitäre Familienlastenausgleichsfonds „evaluiert“, das Pensionssystem „beobachtet“, die Absetzbarkeit von Spenden (für Kirchen, Tierheime und Feuerwehren) erhöht und das ganze Land auf die Energieautarkie vorbereitet.

Das ist angesichts der aktuellen Umwälzungen einigermaßen gespenstisch. Die Regierung versucht nämlich nicht nur, Petitessen zu großen Reformentwürfen hochzuspielen, sie schließt auch nahtlos dort an, wo sie vor der Krise aufgehört hat: Bei der Ausklammerung der Realität und einer kontinuierlichen Erhöhung der Staatsausgaben. So wurden am Semmering weitere 800 Millionen Euro an Mehrausgaben für Soziales freigegeben.

Wer ist hier zynisch? Zynisch sind freilich nicht jene, die so tun, als wüsste der Staat nicht mehr, wohin mit all dem vielen Geld. Sondern jene, die an die Regierung appellieren, den Staatshaushalt auf stabile Beine zu stellen, solange noch die Zeit dafür bleibt. So werden die Steuereinnahmen allein bis zum Jahr 2015 um 28 Prozent anschwellen und damit dreimal so schnell steigen wie die Teuerungsrate. Und trotzdem ist es dieser Regierung nicht möglich, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Nicht, weil sie nicht könnte. Weil sie nicht will.

Dabei wäre gerade jetzt ein perfekter Zeitpunkt, die Glaubwürdigkeit des Schuldnerlandes Österreich zu stärken. Schließlich muss das Land innerhalb der nächsten vier Jahre auf den Märkten knapp 100 Milliarden Euro leihen, um wie versprochen alte Schulden zurückzahlen zu können. Im Zuge dessen wäre es höchst erfreulich, könnte die Regierung ihren Geldgebern ein finanzierbares Pensionssystem und einen sanierten Staatshaushalt präsentieren.

Das „Jobwunderland“ Österreich. All das bleibt unerledigt. Stattdessen wird Österreich von der Regierung als Musterland inszeniert, als jener Staat mit der EU-weit niedrigsten Arbeitslosigkeit. Niemand scheint sich an der Staatsspitze zu fragen, warum der Ansturm ausländischer Delegationen ausbleibt. Mittlerweile hat sich nämlich europaweit durchgesprochen, dass es hierzulande kein „Jobwunder“ zu bestaunen gibt. Sondern bestenfalls teuer geschönte Statistiken: Österreich hat sich niedrige Arbeitslosenzahlen mit lachhaft langen Studienzeiten, juvenilen Pensionisten und dem systematischen Verstecken von Jobsuchenden in aberwitzigen Schulungen erkauft.

Ja, Österreich steht im Vergleich zu anderen Euroländern noch immer sehr gut da. Aber das spricht doch eher gegen die Europartner als für Österreich.



franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2011)


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