SuperMarkt: Griechenlands Ritt ins Nichts

SuperMarkt Griechenlands Ritt Nichts
SuperMarkt Griechenlands Ritt Nichts(c) Dapd (Steffi Loos)
  • Drucken

Die Vertreter der Eurozone versuchen mit aller Energie, ihre Banken zu retten. Und vergessen dabei auf das eigentliche Problem. Mit den Zuflüssen hätten die Griechen eine Menge sinnvoller Dinge anstellen können.

Griechenland hat schon bessere Tage erlebt, keine Frage. Aber immerhin kommen vom südlichen Zipfel der Union neuerdings auch wieder gute Nachrichten. Erst unlängst war zu vernehmen, dass die Griechen zwar nicht besonders reich, dafür sehr gesund seien. Das lässt sich auch daran ablesen, dass der kleine Inselstaat über 9000 Menschen zählt, die ihr hundertstes Lebensjahr bereits hinter sich gelassen haben. Allerdings ist noch nicht ganz klar, ob sich alle über hundertjährigen Griechen auch tatsächlich bester Gesundheit erfreuen. Erst vor wenigen Wochen musste nämlich Arbeitsministerin Louka Katseli die schreckliche Entdeckung machen, dass 4500 ehemaligen Staatsdienern pünktlich die Pensionen überwiesen werden, obwohl die Empfänger längst auf dem Friedhof liegen.

Weshalb die Regierung nun entschlossen gegen Sozialbetrüger vorgehen will, um die Schuldenkrise in den Griff zu kriegen. Das ist zweifellos ein ermutigendes Signal, vor allem in Richtung der nervösen Geldgeber Griechenlands. Schließlich plagt die Bewohner der nördlichen EU-Länder seit Langem das unerquickliche Gefühl, dass die von ihnen erwirtschafteten Gelder im tiefen Süden verprasst werden. Weshalb die Rufe nach harten Sparpaketen auch immer lauter werden. Nicht zu Unrecht, so hat Athen den Stabilitätspakt in den vergangenen neun Jahren neunmal gebrochen, diese budgetäre Disziplinlosigkeit ist auch eine der zentralen Ursachen für das Desaster Griechenlands.

Sparen allein nützt nichts. Unglücklicherweise wird das Kürzen von Ausgaben allein nicht reichen. Weil Griechenland gar nicht so viel sparen kann, dass es auf diese Weise zu retten wäre. Griechenland braucht Wachstum, daran besteht kein Zweifel. Die Geister scheiden sich aber am „Wie“. So appellieren linke Politiker und deren Ökonomen, nicht länger mit dem Sparknüppel auf die Griechen einzudreschen, sondern ihnen lieber ein altbewährtes Wundermittel zu verabreichen: öffentliche Investitionen. Setzt der Staat (in dem Fall die EU) Geld ein, wird vor Ort investiert, es entstehen „inländische“ Arbeitsplätze, die wiederum die Kaufkraft der frisch Beschäftigten erhöhen, wodurch die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern anspringt, bevor die Sache in einen „selbsttragenden“ Aufschwung mündet, die staatlichen Ausgaben automatisch zurückkommen und sich alle Beteiligten glücklich in den Armen liegen.


Fatales Wundermittel. Abgesehen davon, dass das so noch nirgendwo funktioniert hat, wäre zu erwähnen, dass es genau diese öffentlich stimulierte Kaufkraftsteigerung war, die Griechenland an jenen Abgrund geführt hat, in den es heute blickt. Seit sich die Athener Regierung in die Währungszone gelogen hat, strömten die Euros nämlich nur so ins Land.

Mit den jährlichen Zuflüssen in zweistelliger Milliardenhöhe hätten die Griechen eine Menge sinnvoller Dinge anstellen können. Etwa die schwache industrielle Substanz erneuern und jenen überfälligen Strukturwandel finanzieren, der laut EU-Verträgen längst vollzogen sein müsste. Stattdessen wurde der Wettbewerb aus dem Land gejagt, dafür regelt der Staat gern und viel. Heute verfügt Griechenland über mehr geschlossene als geöffnete Wirtschaftsbereiche, ohne dass sich daran je einer der europäischen Partner wirklich gestoßen hätte.

Die Staatsführungen in Athen (sozialistische wie konservative) teerten mit den Hilfsgeldern ein paar Straßen und taten das, wonach jetzt wieder gerufen wird: Sie stärkten die Kaufkraft der Bevölkerung, damit diese ordentlich konsumieren könne. Betroffen davon war aber nicht ganz Griechenland, sondern vor allem eine äußert privilegierte Schicht: jene der Staatsdiener. Im öffentlichen Dienst wurden die Löhne in den vergangenen 15Jahren um 160 Prozent nach oben getrieben, in den Staatsbetrieben um 220 Prozent. Das ist auch einer jener Gründe, warum viele Griechen gegen die nun unvermeidlichen Haushaltskürzungen so wütend protestieren. Weil sie vom künstlich herbeigeführten Gehaltsrausch in der staatsnahen Wirtschaft weitgehend ausgeschlossen blieben.


Hellenische Phantomwirtschaft. Heute lebt die Bevölkerung zu 78,8 Prozent von Dienstleistungen, allen voran vom Tourismus. Das ist ein ehrenwerter Geschäftszweig, allerdings lässt sich mit fünf Monaten Sommerfremdenverkehr nicht jener Wohlstand finanzieren, den die Griechen zwölf Monate lang beanspruchen. Das Ausmaß der Phantomökonomie zeigt die seit Jahren tiefrote Leistungsbilanz. Die Griechen bezahlen andere dafür, sie mit Luxus- und Investitionsgütern zu versorgen. Leider werden die Rechnungen mit Geld beglichen, das die Griechen nicht erwirtschaftet, sondern geliehen haben (nicht selten in den Ländern der Lieferanten). Der stete Zufluss an ausländischem Kapital wirkte wie Gift: Die Löhne stiegen viel schneller als die Produktivität, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit weiterschrumpfte und griechische Exporte unattraktiver wurden.

Den Griechen stehen mittlerweile nur mehr zwei Optionen offen: Entweder sie verlassen sich darauf, dass der Geldregen aus dem „reichen“ Europa anhält (die Chancen dafür stehen gar nicht schlecht). Oder sie ringen sich endlich dazu durch, ihre Märkte dem Wettbewerb zu öffnen und eine konkurrenzfähige Industrie aufzubauen. Das braucht freilich Jahrzehnte. Würden die Vertreter der Eurozone diesen Wandel einfordern und auch finanziell unterstützen, wären sie gute Partner. Stattdessen ziehen sie es vor, den Griechen den Ritt ins Nichts so angenehm wie möglich zu machen. So, als wäre es ein guter Dienst, einem Lebensmüden ein möglichst weiches Seil zu schenken.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2011)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.