SuperMarkt: Verflixte Neoliberalisten!

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Die Gegner freier Märkte greifen immer tiefer in die Trickkiste, um einen Systemwechsel zu propagieren. Zeitpunkt dafür ist freilich kein Zufall. Das Anbellen des Neoliberalismus ist bisweilen reichlich grotesk.

Hätten die Globalisierungsgegner ein politisches Mandat, wären die wirtschaftlichen Probleme der Welt im Nu gelöst: Liberale Marktwirtschaften würden an die Kandare genommen (so sie überhaupt noch existierten), Preise und Einkommen von einem gerechten Staat festgesetzt, Investitionen und Privateigentum in Ausnahmefällen gestattet, Reiche zum Wohle der Allgemeinheit auf das Existenzminimum gepfändet und Banker mit einem lebenslangen Berufsverbot belegt werden.

Dementsprechend resch empfingen die antikapitalistischen Frontkämpfer deshalb auch jene 17 Wirtschaftsnobelpreisträger, die vergangene Woche in Lindau am Bodensee mit begabten Studenten den Lauf der Welt diskutierten. „Schande über euch ,noble‘ Wirtschaftswissenschaftler, ihr habt die Welt mit euren neoliberalen Theorien an den Rand des Abgrunds befördert“, wie auf großen Plakaten vor der Lindauer Inselhalle zu lesen stand.

Joseph Stiglitz wird diese Grußbotschaft mit einem Lächeln quittiert haben. Zwar würde der Nobelpreisträger nicht so weit gehen wie die Globalisierungsgegner, aber er lässt Sympathien für deren „Wut“ erkennen. Erst unlängst war er nach Spanien aufgebrochen, um sich vor Ort ein Bild über die Folgen des ungezügelten Kapitalismus zu machen. Schrecklich sei der Anblick gewesen, wie Augenzeuge Stiglitz berichtet: „Die Arbeitslosigkeit unter den jungen Spaniern beträgt 45Prozent. Die Wirtschaft versorgt die Jungen nach langer Ausbildung nicht mehr mit Jobs. Die Anhänger der Protestbewegung haben ein Recht, empört zu sein.“

Nicht nur in Spanien hinterlässt der grassierende Neoliberalismus eine Spur der Verwüstung. So musste das von „den Märkten“ unter Sparzwang gesetzte Griechenland unlängst die Auszahlung von Renten an 1400 Personen streichen, weil sich herausstellte, dass die Empfänger schon lange nicht mehr am Leben waren. Klar: Zuerst trifft es eben immer die Schwächsten der Gesellschaft. In diesem Fall auch noch jene, die sich gegen die Umverteilung von „unten nach oben“ nicht mehr wehren können.

Das Anbellen des Neoliberalismus ist bisweilen reichlich grotesk. So wissen Leute wie Stiglitz natürlich, warum 45 Prozent der jungen Spanier arbeitslos sind. Nicht weil ihnen gierige Kapitalisten die Jobs vorenthielten. Nein, weil eine ganze Generation zum Opfer einer gut gemeinten, aber letztlich verheerend wirkenden Arbeitsmarktpolitik geworden ist: Festanstellungen wurden über einen extremen Kündigungsschutz und aberwitzig hohe Abfertigungen zu pragmatisierten Stellen.


Politisch produziertes Prekariat
. Das ist schön für die Älteren, dafür werden die Jungen mit befristeten Verträgen ohne soziale Absicherung abgespeist. Keine Unternehmerschaft der Welt kann es sich nämlich leisten, Auftragseinbrüche nicht mit dem Abbau von Stellen abzufangen. Als „flexible Masse“ bleiben in Spanien nur noch die Jungen übrig. Schuld daran ist für einen Nobelpreisträger wie Joseph Stiglitz aber nicht eine naive Arbeitsmarktpolitik, sondern der Neoliberalismus, der die Spanier um die lebenslange Fixanstellung bringt. Offenbar ein bislang unbekanntes Menschenrecht.

Mittlerweile gehört es auch wieder zum guten Ton, wie in den 1930er-Jahren, über gierige Spekulanten herzuziehen, die an allem Unheil schuld zu sein scheinen. Auch der wachsende Hunger der Welt ist ihr Werk, weil sie die Nahrungsmittelpreise nach oben peitschten. Nun ist unbestritten, dass sich große Fonds billiges Staatsgeld leihen, um es in nachwachsende Rohstoffe zu stecken. Vergessen wird, dass es ohne Spekulanten für Bauern kein Wirtschaften gäbe: Sie nehmen den Landwirten das ganze Risiko ab, indem sie noch nicht eingefahrene Ernten auf Termin kaufen, womit die Bauern jenes Geld vorgestreckt bekommen, das sie zur Aussaat brauchen.

Im Unterschied zum Funktionärskader staatsfreundlicher Organisationen wissen Leute wie Stiglitz natürlich auch, wer die „neuen“ Liberalen wirklich waren. Jene Zeitgenossen, die sich nach der Großen Depression gegen die Unterdrückung aufkeimender Diktaturen wehrten und für einen „kontrollierten“ Kapitalismus plädierten, indem sie eine geordnete Regulierung der Finanzmärkte einforderten. Also genau das, wofür Globalisierungsgegner heute auf die Straßen ziehen. Dennoch gilt „Neoliberalismus“ heute als Synonym für ein System, das den Zockern die Taschen füllt und den Staat „kaputtspart“.

Womit sich die nächste Groteske eröffnet: In Österreich schuften Arbeitnehmer bis August, um die Rechnungen ihres verschwenderischen Rundumversorgungsstaats begleichen zu können, der allerorts kostspielige Parallelstrukturen aufgebaut hat, um möglichst viele Parteigänger mit sicheren Jobs zu versorgen. Kritisiert wird aber nicht der maßlose Staat, sondern der angeblich so böse Neoliberalismus– in einem Land, in dem ab 53 in Pension gegangen wird und in dem die öffentliche Hand mit 52 Prozent Staatsausgaben gemessen am BIP der bei Weitem größte Wirtschaftsfaktor ist.


Tarnen und täuschen. Der rhetorische Kampf gegen den (ohnehin inexistenten) Turbokapitalismus folgt freilich einem klaren Ziel: Er lenkt vom eskalierenden Versagen politischer Eliten (Griechenland-Fiasko, Schuldenkrise) ab und hilft dabei, verloren gegangenes Terrain für den „guten“ Staat zurückzugewinnen. Mit der Folge, dass die Marktwirtschaft nicht nur im korporatistisch durchorganisierten Österreich zur Statistenrolle zu verkommen droht, sondern in weiten Teilen Europas. Das ist keine gute Nachricht. Die vom Staat unters Volk gebrachten Gelder werden schließlich nicht in den Werkshallen der Globalisierungsgegner erwirtschaftet. Sondern in privaten Betrieben, die im freien Wettbewerb um ihre Existenz zu kämpfen haben. Für sie gibt es aber weder Plakate, noch geht jemand für sie auf die Straße.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2011)


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