SuperMarkt: Russisches Roulette im Hochsicherheitstrakt

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Staatsanleihen gelten auch nach der jüngsten Orgie an Abstufungen als mündelsicher. Dabei wären viele Eurostaaten ohne die EZB längst pleite. Kaum ein Land kann die Rückzahlung seiner Schulden glaubhaft garantieren.

Wie sich die Zeiten doch ändern: Vor wenigen Wochen noch waren die Herren Faymann und Spindelegger ganz aus dem Häuschen, weil die Ratingagentur Moody's ihre Arbeit lobte und dem Schuldnerland Österreich allerhöchste Bonität bescheinigte. Vergangenen Freitag aber musste die Begeisterung blankem Entsetzen weichen, nachdem „uns“ Standard & Poor's das Triple A weggeschnappt hatte. Wie um Himmels willen konnte das geschehen? Zum Glück musste sich Österreich nicht allein mit dieser Frage plagen, auch die Pariser Regierung verstand die Welt nicht mehr. Und mit ihr die Staatsführungen weiterer sieben Eurostaaten, die von einer Rückstufung betroffen waren.

Irgendwie ist die Aufregung ja verständlich, schließlich geht es um eine Menge Geld. Mit einer schlechteren Kreditwürdigkeit verteuern sich die Staatsschulden, womit die höheren Einnahmen aus den in ganz Europa diskutierten Steuererhöhungen gleich wieder vom steigenden Zinsendienst „verjausnet“ werden. Das ändert aber nichts daran, dass die jüngsten Rückstufungen in höchstem Maße nachvollziehbar sind. Was beispielsweise sollte an einem Land wie Frankreich „Triple A“-würdig sein? An einem Staat, dessen Schuldenberg bei fast 90 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt und der in einem konjunkturell hervorragenden Jahr wie 2011 knapp sechs Prozent Defizit erwirtschaftete – bei einer Staatsausgabenquote von 56,6 Prozent des BIPs.


Mit Geld geflutet. Nein, es erwischte keine Unschuldigen, sondern ausnahmslos Staaten, die keine Kontrolle mehr über ihre Ausgaben haben und die ohne Druckerpresse der Europäischen Zentralbank längst erledigt wären. Wie aktiv die EZB auf den Märkten ist, zeigte sich vergangenen Donnerstag, als sich mit Italien und Spanien zwei akute Wackelkandidaten überraschend leicht und vor allem zu lächerlich niedrigen Zinsen verschulden konnten. Spanien bekam für drei Jahre laufende Staatsanleihen mit zehn Milliarden doppelt so viel Geld wie erwartet – und das zu Zinsen von gerade einmal vier Prozent. Italien wurden für ein Jahr zwölf Milliarden zu 2,735 Prozent nachgeworfen.

Wie das möglich ist, erklärte der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ ziemlich anschaulich: „Das gute Ergebnis der Auktion von Staatsanleihen zeigt, dass die EZB einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung leisten kann, wenn sie klotzt und nicht kleckert: Sie hat das System mit Geld geflutet.“ Und: „Die Strategie der EZB ist aufgegangen.“


Volles Risiko. Frei übersetzt heißt das: Die EZB hat jenes Geld gedruckt, mit dem Europas Banken italienische und spanische Staatsschulden aufgekauft haben. Schon Ende 2011 hatte die EZB den Kommerzbanken auf politischen Druck für drei Jahre Liquidität in unbegrenzter Höhe bereitgestellt. Noch im Dezember holten sich die Banken 500 Milliarden Euro, die sie umgehend bei der EZB als „Übernachteinlagen“ deponierten. Unbestätigten Informationen zufolge reduzierten sich diese Einlagen Ende vergangener Woche ziemlich genau um jene Milliarden, die sich Italien und Spanien auf den Märkten holten. Das ist noch kein Beweis, dass die EZB hinter den blendend gelaufenen Anleiheauktionen steht – aber ein starkes Indiz.

Ohne die Geldschwemme der EZB wäre der „Run“ auf europäische Staatsanleihen auch nicht denkbar. Hinzu kommt, dass die Banken von der staatlichen Regulierung geradezu genötigt werden, Staatsanleihen aufzukaufen: Gewähren Institute einem Spitzenunternehmen mit herausragender Bonität Kredit, müssen die Geldhäuser neun Prozent der ausgeliehenen Summe in Form von Eigenkapital zurücklegen. Das ist teuer, weil das Geld nicht anderwärtig „arbeiten“ kann, aber eine wichtige Reserve. Für den „Fall des Falles“, man weiß ja nie. Finanzieren dieselben Banken aber am Rande der Pleite stehende Staaten, müssen sie dafür nichts zur Seite legen. Keinen Cent.


Bilanzbomben. Nicht zu vergessen ist, dass die Großbanken gekaufte Staatsanleihen bei der EZB als Sicherheit für gewährte Kredite hinterlegen dürfen. Was aber, wenn einer dieser „sicheren“ Staaten wider Erwarten doch Bankrott anmeldet? Dann stünden auch jene Banken vor dem Aus, die den insolvent gewordenen Staat finanziert haben. Je größer die Pleite, desto wahrscheinlicher auch die Insolvenz der dahinterstehenden Financiers. Die dann natürlich wieder unter dem schadenfrohen Gejohle der Politik zu retten wären.

Viel zu lachen gäbe es in so einer Situation freilich nicht. Was die Politik aber nicht davon abhält, aktiv zum Ankauf von „sicheren“ Staatsanleihen aufzurufen. Gefährlich seien ja nur unregulierte Produkte der Finanzbranche. Diese Dinger hätten nämlich die Kraft, riesige Banken und damit die ganze Weltwirtschaft ins Wanken zu bringen. Alle Welt wurde schließlich Zeuge der verheerenden Wirkung des unregulierten Finanzkapitals.

Während so eindringlich vor hoch komplizierten Derivaten gewarnt wird, zittern die Vertreter großer Geldhäuser und Pensionsfonds vor dem Platzen biederer Staatsanleihen. Kaum ein Land kann die Rückzahlung seiner Schulden glaubhaft garantieren, weshalb der Ankauf von Staatsanleihen zu einer Art russischem Roulette im vermeintlichen Hochsicherheitstrakt geworden ist. Waren Staatsanleihen früher bestenfalls etwas für Langweiler, zählen dieselben Schuldverschreibungen heute zu den begehrtesten Spekulationsobjekten, die der moderne Finanzmarkt zu bieten hat.

Wie sich die Zeiten doch ändern.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2012)


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