SuperMarkt: Spinnen die Schweizer?

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Während Piloten der fast bankrotten AUA für jährliche Gehaltssprünge kämpfen, votieren Arbeitnehmer der reichen Schweiz gegen mehr Urlaub.

Die Schweiz ist nicht nur ein Land, in dem sich Fuchs und Nerz gute Nacht sagen. Sondern auch eines, in dem die Bevölkerung allen Ernstes gefragt werden kann, ob sie statt vier Wochen bezahlten Urlaubs pro Jahr denn nicht lieber sechs hätte, um sich so besser vom wachsenden Leistungsdruck der globalisierten Wettbewerbswirtschaft erholen zu können. Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit ist die Schweiz aber das einzige Land dieser Welt, dessen Bewohner diese Frage mit einem glasklaren „Nein“ beantworten: 66,5 Prozent der Eidgenossen lehnten vergangene Woche die Gewerkschaftsinitiative nach mehr bezahlter Freizeit schlichtweg ab. Wieso? Weil die Schweizer mit einer weiteren Verteuerung des Faktors Arbeit eine fortschreitende Verlagerung von Arbeitsplätzen ins benachbarte Ausland fürchten.

Selbst wenn der Vergleich mit Österreich mangels fehlender direkter Demokratie nicht zu ziehen ist, lässt sich aber doch sagen, dass ein derartiges Referendum hierzulande wohl ein deutlich anderes Ergebnis gebracht hätte. Auch deshalb, weil die Bevölkerung gezielter auf die Abstimmung vorbereitet worden wäre. Neben Arbeitnehmerverbänden würden renommierte Wirtschaftsforscher in längeren Urlauben nicht nur einen überfälligen Akt der sozialen Gerechtigkeit erkennen, sondern vor allem die konjunkturbelebende Wirkung dieser Maßnahme betonen. Schließlich weiß hierzulande jedes Kind, dass die elterliche Brieftasche in Ferienzeiten besonders locker sitzt, weshalb mehr Urlaubsgeld auch zu einem überproportionalen Anstieg der Ausgaben privater Haushalte führe, was wiederum die Wirtschaft ankurble, wovon letztlich alle profitieren.


Verkehrte Welten. Aus diesem Grund wird ja auch bei jeder Gelegenheit für höhere Löhne argumentiert. Nicht etwa, weil die Nachfrage nach Arbeit gestiegen wäre, sondern um die Nachfrage nach Arbeit zu stärken. Nach der Logik eines durchschnittlichen österreichischen Staatsökonomen treiben nämlich höhere Löhne den Konsum an, was wiederum zu höherer Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen führt, wodurch mehr Menschen Arbeit finden. Mit steigender Beschäftigung wachsen auch die dem Konsum zur Verfügung stehenden Haushaltseinkommen, was naturgemäß in eine wachsende Wirtschaftsleistung und sichere Jobs mündet.

Gefährdet werden Arbeitsplätze also durch mickrige Lohnabschlüsse, ungezügelten Wettbewerb sowie den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft. Wer das Gegenteil behauptet, macht sich bestenfalls als verhaltensorigineller Marktradikaler verdächtig, weshalb derartige Ausritte besser zu unterlassen sind. Man muss auch nicht jede Tischgesellschaft sprengen, davon hat ja letztlich niemand etwas.

Der schweizerische Konjunkturzyklus unterscheidet sich vom österreichischen maßgeblich. Hohe Löhne und langer Urlaub werden bei unseren Nachbarn nicht als Ursache einer guten wirtschaftlichen Entwicklung gesehen, sondern als deren Folge. Wie verschieden die beiden Länder in ökonomischer Hinsicht sind, lässt sich auch daran ablesen, dass die Piloten einer de facto bankrotten Fluglinie jährliche Gehaltsvorrückungen und automatische Inflationsabgeltung für sozialen Mindeststandard halten, während die Arbeitnehmer der reichen Schweiz gegen mehr Urlaub votieren.

Ökonomischer Erfolg und hoher Arbeitseinsatz werden nicht mit hohen Steuern sanktioniert, sondern mit niedrigen belohnt. Knallharter Wettbewerb gilt bei unseren Nachbarn nicht nur in der Wirtschaft als willkommenes Instrument zur Steigerung des Wohlstands, sondern auch in der Organisation des Staates. Die Schweizer Kantone setzen die Höhe der Einkommensteuern autonom fest, was vor allem ärmere Regionen für sich zu nutzen wussten. Mit niedrigen Steuersätzen lockten sie betuchte Bürger aus aller Welt an und füllten so ihre leeren Kassen auf. Der grassierende Steuerwettbewerb endete auch nicht in der Staatspleite, ganz im Gegenteil: Bund, Kantone und Gemeinden weisen selbst in schwierigen Zeiten Überschüsse aus. Weshalb die Staatsverschuldung auch bei 40 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt und nicht bei 74 Prozent.


Keine Angst vor Ausländern. Das Verhältnis zu den Immigranten ist auch in der Schweiz keineswegs unbelastet, allerdings wird der Beitrag der Zuwanderer zum ökonomischen Fortkommen des Landes geschätzt. So hat das Nicht-EU-Mitglied Schweiz seinen Arbeitsmarkt für Menschen aus den zehn neuen Mitgliedsländern nach einem Referendum im Jahr 2005 geöffnet, während das EU-Mitglied Österreich die Grenzen bis Mai 2011 dichtmachte.

Föderalismus wird in der Schweiz nicht als Umverteilungskarussell verstanden, sondern als effizienteste Form der Staatsorganisation. Gönnt sich eine Gemeinde ein neues Schwimmbad, glaubt niemand, dass diese Investition der Onkel Landeshauptmann bezahlt. Die Bürger wissen, dass sie das tun über höhere Kommunalsteuern. Dasselbe gilt für den Gesundheitssektor. 2005 wurde in St. Gallen eine Initiative zum Ausbau der Regionalspitäler aus Kostengründen mit großer Mehrheit abgelehnt. Das alles führt letztlich dazu, dass 26 Schweizer Kantone günstiger verwaltet werden als neun österreichische Bundesländer.

Die Anhänger der eidgenössischen Wirtschaftsethik werden gern mit dem Argument in die Schranken gewiesen, dass das Land ohne seine schweigsamen Banker nicht weit gekommen wäre. Mag sein. Allerdings ist der Finanzsektor ebenso wenig vom Schweizer Himmel gefallen wie die erfolgreichen Pharma- und Technologiekonzerne. Das alles haben sich die Schweizer hart erarbeitet. Wie auch die vier Wochen bezahlten Urlaub.



franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2012)


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