SuperMarkt: Wie teuer ist teuer?

SuperMarkt teuer teuer
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Die Teuerungswelle ebbt ab. Das jedenfalls behaupten die Statistiker. Glaubt man einem alten Sprichwort, dann ist die Statistik jedoch so etwas wie die Laterne für einen Betrunkenen.

Endlich einmal eine richtig gute Nachricht: Das Leben ist zwar wieder ein bisschen teurer geworden, aber bei Weitem nicht so schlimm wie befürchtet. So verteuerten sich Güter und Dienstleistungen im vergangenen Mai gegenüber dem Vorjahreszeitraum um schlanke 2,1 Prozent. Das ist zwar mehr als nichts, aber auch der niedrigste Preisschub, der hierzulande seit November 2010 gemessen wurde. Noch erfreulicher ist aber, dass sich der Preisschub seit Monaten abschwächt, was wiederum auf einen nachhaltigen Trend hoffen lässt. Von Hyperinflation also keine Spur.

Unglücklicherweise gibt es aber ein kleines Problem: Die Millionen von Verbrauchern wollen die jüngst von den statistischen Seismografen aufgezeichneten Teuerungsraten nicht so recht glauben. Auch die Arbeiterkammer ist skeptisch. So ventilierte deren Präsident Herbert Tumpel vergangene Woche die leisen Zweifel an der Aussagekraft der „offiziellen Inflationsrate“. Letztere scheine mit der Realität in den Supermärkten nicht mehr übereinzustimmen, sondern zu niedrig zu sein.

Da ist was dran, auch wenn zur Ehrenrettung der Statistik Austria erwähnt sei, dass der Verbraucherpreisindex (VPI) nicht behauptet, nur die Preisentwicklungen in den Supermarktregalen abzubilden. Vielmehr spiegelt der Index das Auf und Ab jener Ausgaben wider, die ein österreichischer Durchschnittshaushalt eben so hat. Und dieses Preisniveau steigt – so will es die Statistik Austria wissen – eben nur mehr sehr schwach.


Blanke Unwissenheit? An dieser Stelle soll nicht unterschlagen werden, dass sich der Autor dieser Kolumne erst vor wenigen Tagen einen Rüffel von den staatlichen Statistikern eingehandelt hat. In einer Aussendung verwehrte sich der Direktor der Bundesanstalt Statistik Österreich nämlich „auf das Entschiedenste“ gegen den in einem „Presse“-Kommentar erhobenen Verdacht, die Statistik Austria verschleiere über einen geschickt gefüllten Warenkorb das wahre Ausmaß der Teuerung. „Aussagen dieser Art zeugen offenkundig von einer Unvertrautheit des Autors dieses Kommentars mit der Methodik der Inflationsberechnung.“

Na dann wollen wir uns doch einmal etwas mit der Methodik der Inflationsberechnung vertraut machen. Allein um die Entwicklung des Preisniveaus zu zeigen, messen die Statistiker die Preise von 791 Waren und Dienstleistungen. Sapperlot! Von Müsli, Butterkeksen, Bauchfleisch, Dauerhartwurst, Kaugummi, Trainingsanzug, der Änderungsschneiderei über Nachhilfestunden, Gipskartonplatten, Dampfbügeleisen, Flachbildfernseher, Flugticket bis hin zu Mieten findet sich alles, was das Verbraucherherz so begehrt.

Und noch viel mehr! Oder wussten Sie etwa, dass ein typischer Haushalt im Jahr fast gleich viel Geld für Tischtennistische ausgibt wie für Emmentaler? Oder dass die (stark sinkenden) Preise für Flachbildfernseher und Notebooks den jährlichen Verbraucherpreisindex ähnlich stark beeinflussen wie jene für Butter, Milch und Gebäck (kumuliert) beziehungsweise die monatliche Gasrechnung?

Neu sein dürfte vielen Haushalten auch, dass die Miete der eigenen vier Wände nur 4,067 Prozent der monatlichen Ausgaben verschlingt. Natürlich könnte man jetzt auf den Gedanken kommen, dass dieser Anteil wohl eher dem Ausgabeprofil von Dietrich Mateschitz entspricht, ein durchschnittlicher Haushalt aber viel mehr als vier Prozent für Miete aufzuwenden hat. Vermutungen dieser Art deuten freilich wieder auf eine eklatante Unvertrautheit mit der Materie hin. Die Experten der Statistik Austria erklären die bescheidene Gewichtung von Wohnungsmieten im Verbraucherpreisindex (VPI) damit, dass viele Bürger im Eigentum wohnen. Deren (teilweise beträchtliche) Ausgaben für das zum Kauf einer Wohnung geliehene Kapital wird im VPI nicht erfasst. Diese Kosten seien – im Gegensatz zur Miete – keine Konsumausgaben. Interessant.

Bemerkenswert ist auch, dass heimische Haushalte für Freizeit- und Kulturdienstleistungen fast so viel Geld ausgeben wie für Mieten. Der Drang der Österreicher in die Museen und Fitnessstudios des Landes zählt vermutlich zu den bisher meistunterschätzten Phänomenen überhaupt. Wie sportlich die Bevölkerung ist, zeigt auch, dass sie gleich viel Geld für Reitstunden ausgibt wie für Fachbücher. Womit die Statistik Austria das gut gehütete Geheimnis über den fortschreitenden Bildungsnotstand der Österreicher lüftet: Reiten statt Lesen, das kann auf Dauer nicht gut gehen!

Besser abzulesen ist die Entwertung des Geldes durch die auf Hochtouren laufenden Notenpressen am „Miniwarenkorb“, der die Preise für den wöchentlichen Einkauf misst (häufig gebrauchte Verbrauchsgüter, Nahrungsmittel und Treibstoffe). Und siehe da: In zweieinhalb Jahren hat sich der wöchentliche Einkauf um 13 Prozent verteuert. Seit 2005 um ein Viertel. Noch stärker gestiegen sind die Preise für Rohstoffe und Vermögenswerte, für deren Erwerb heute oft doppelt so viel Geld hinzulegen ist wie noch vor wenigen Jahren („Asset“-Inflation).

Im Dunkeln munkeln. Regierungen verlassen sich natürlich lieber auf die allgemeine Teuerungsrate. Das bringt der jeweiligen Staatsführung gleich mehrere Vorteile: So wird der Eindruck erweckt, die Politik des billigen Geldes bliebe folgenlos und der Wert des Geldes stabil. Zudem lässt eine niedrigere Teuerungsrate das Wirtschaftswachstum besser aussehen, als es tatsächlich ist. Berechnet wird das Wachstum nämlich zu laufenden Preisen (nominelles Wachstum). Zieht man davon die offizielle „Inflationsrate“ ab, erhält man das reale Wirtschaftswachstum. Ist das nominelle Wachstum schwach, helfen niedrige Teuerungsraten dabei, das reale Wirtschaftswachstum über der Nulllinie zu halten.

Das alles sind Dinge, die Teuerungsraten nicht offenlegen. Sollen sie wohl auch nicht. Glaubt man nämlich einem alten Sprichwort, dann ist die Statistik so etwas wie die Laterne für einen Betrunkenen. Sie dient nicht wirklich der Erleuchtung, gibt dafür aber jede Menge Halt. Oder so ähnlich.



franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2012)


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