Wer wirklich von der lockeren Geldpolitik profitiert

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Die extrem Reichen konnten in den vergangenen Jahren ihren Reichtum extrem steigern. Da kann man nur gratulieren.

Hollywood produziert seit einiger Zeit nur noch Schrott. Das ist eine objektiv feststellbare Tatsache, die auch von den meisten namhaften Experten bestätigt wird. Statt mutiger neuer Ideen gibt es nur noch einen Aufguss nach dem anderen. Wie viele Teile umfasst „Star Wars“ inzwischen? Ich hab schon aufgehört zu zählen.

Eine löbliche Ausnahme ist erwähnenswert: Ausgerechnet das Genre des Finanzfilms wird plötzlich richtig gut. Das liegt natürlich an der historischen Finanzkrise. So ist das eben: Geht es mit der Wirtschaft aufwärts, interessiert sich kaum jemand dafür. Aber wenn es kracht, will jeder wissen wieso.

Steve Eisman wusste schon lang vor dem Ende von Lehman Brothers, dass etwas faul ist im System. Wer Eismans Geschichte nicht kennt, kann sie in „The Big Short“ nachsehen. Der Film mit Christian Bale, Ryan Gosling, Steve Carell und Angelina Jolies zukünftigem Exmann Brad Pitt kam heuer in die Kinos und war völlig zu Recht für fünf Oscars nominiert. Inzwischen ist er auch auf Netflix.

Die Geschichte ist – im Nachhinein – schnell erzählt: Sie handelt von vier Männern, die anhand der Zahlen und anderer Indizien schon lang vor der Krise ahnten, dass der US-Immobilienmarkt und die dahinterliegende Finanzstruktur auf Sand gebaut sind. In den Jahren vor der Krise wurden diese vier freilich ausgelacht. Ihnen war es egal, denn sie haben gegen den Markt gewettet und gut verdient. Nach der Krise schrieb Michael Lewis ein Buch über sie, heuer folgte dann der Film. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.


Steve Eisman, der im Film Mark Baum heißt, wird von Steve Carell gespielt. Es ist ein ziemlich brillanter Auftritt von Carell, der sonst eher als Komiker bekannt ist. Dass „Big Short“ erst Jahre nach der Krise in den Kinos gelandet ist, hat einen großen Vorteil. Die Moral der Geschichte kommt besser rüber. Ich verrate wohl nicht zu viel, wenn ich sie rasch umreiße: Wir haben nichts dazugelernt.

Im Gegenteil: Wir haben eine Finanzkrise, die durch zu lockeres Geld ausgelöst wurde, mit noch mehr lockerem Geld bekämpft. Seitdem haben wir das Geld noch stärker gelockert. Immer und immer wieder. Seit der Krise sind die Zinsen weltweit 666 Mal gesenkt worden. Von den Billionen und Aberbillionen, die die Zentralbanken zusätzlich in den Markt gepumpt haben, ganz zu schweigen. Klar, das System und die Banken wurden wieder einmal gerettet. Aber die Methoden müssen immer mehr verschärft werden. Anders geht es nicht.

So wie das System der US-Hypothekenpapiere, das vor fast zehn Jahren zusammengebrochen ist, basiert das ganze Finanzsystem auf dem Prinzip der Expansion. Für das Geldsystem bedeutet das: Inflation – also die ständige Ausweitung der Geldmenge. Nachdem die Banken inzwischen verschreckt sind und die Geldmenge durch Kredite nicht mehr schnell genug aufblasen, haben die Zentralbanken den Job zwischenzeitlich selbst übernommen – und es Quantitative Easing genannt. Easing, das heißt in etwa „Erleichterung“.

Dieser Eingriff hat einen sehr gewollten Effekt: Das Finanzsystem ist nicht unkontrolliert zusammengebrochen. Dafür gilt den Währungshütern zu Recht Dank, denn ein derartiges Mad-Max-Szenario wird sich niemand wünschen. Aber jeder Eingriff in den Markt erzeugt Nebenwirkungen. Und Steve Eisman weiß auch welche: „Quantitative Easing ist nicht mehr als Geldpolitik für reiche Leute“, sagte er kürzlich bei einer Veranstaltung in Miami. Die Zentralbanken würden QE einsetzen, um Risiko zu minimieren und die Menschen zu Investments an den Märkten zu bewegen. „Aber die meisten Menschen investieren nicht an der Börse. Sie investieren in Banken, sie sparen mehr. Banken zahlen aber keine Zinsen für ihr Geld.“

Eisman bezeichnet sich selbst als „sehr links“. Er versteht aber trotzdem etwas von Inflation: Die führt zu einem ständigen Wettlauf. Wer aufsteigen will in der Welt, muss rascher Geld machen, als er es durch die Entwertung verliert. Wenn die Teuerung „normal“ ist, also die Inflationsrate bei rund zwei Prozent liegt, läuft dieses Wettrennen im Verborgenen ab. Derzeit herrscht kaum Teuerung – dafür sinken die Zinsen auf null oder sogar darunter. Der Effekt ist derselbe, aber er ist viel auffälliger. Insofern erreicht die Geldpolitik ihr Ziel. Der Sparer weiß, dass er verliert, wenn er nicht an den Märkten nach Rendite sucht.


Es bringt auch nicht viel, sich über diese Inflation des Geldes zu echauffieren. Es ist halt, wie es ist. Nach der ganz großen Deregulierung des Geldsystems in den 1970er-Jahren ist die Geldmenge explodiert – und mit ihr die ungleiche Vermögensverteilung, von der wir heute so oft hören.

Jetzt herrscht wenigstens Transparenz, die Umverteilung nach oben wird greifbar. Dank Quantitative Easing. So erodiert in rund einem Drittel der Industrieländer die Mittelschicht, auch in Österreich. Das zeigen die Daten des „Global Wealth Report“ der Allianz. Auffällig ist aber: In Ländern wie der Schweiz oder auch Frankreich kann die Mittelschicht zwar noch zulegen – aber die Zahl der Reichen nimmt ab. Es gibt also Absteiger in die Mittelschicht.

„Die Oberklasse schrumpfte insgesamt. Dies trifft aber nicht auf eine entscheidende Untergruppe zu, das reichste Bevölkerungsdezil. Dessen Anteil am Vermögen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen“, so die Allianz: „Letztlich trifft dies auch auf die Verhältnisse im globalen Maßstab zu.“ Die Spitze der Verteilungspyramide entfernt sich immer weiter vom Durchschnitt. „Und wird immer dünner.“

Soll heißen: Die wirklich Megareichen, die auch auf Millionäre und sogar manche Milliardäre nur mitleidig herabschauen können, profitieren seit Jahren übermäßig von der geldpolitischen Umverteilung. Sei es, weil sie schlauer sind als alle anderen. Oder weil sie bessere Berater oder Connections haben. In jedem Fall: Gratulation! Ich hoffe, einer der mitlesenden Megareichen hat so viel Humor und nennt seine nächste 40-Meter-Jacht Quantitative Easing.

Steve Eisman würde vielleicht schmunzeln. Die Frage nach dem größten aktuellen Risiko im Finanzsystem beantwortet er nämlich so: „Dass die Welt das Vertrauen in Quantitative Easing verliert.“ Dieser Punkt nähert sich. Auch das zeigen die Daten der Allianz. Denn die Wirkung der Geldschwemme lässt nach. Selbst die Megareichen profitieren inzwischen weniger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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