Druckmittel Gas: Reale Gefahr oder Hysterie?

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Mit dem Krieg in der Ukraine steigt die Gefahr, dass es zu Lieferausfällen bei russischem Gas für Europa kommt. In weiser Voraussicht hat die EU ihre Mitgliedstaaten Stresstests durchführen lassen. Mancherorts ist die Lage brisant.

Wien. Die Heizsaison naht. Die Ukraine wird seit Juni nicht mehr mit russischem Gas beliefert. Und weil im größten Transitland für den russischen Gasexport nach Europa Krieg herrscht, könnte es auch in der EU zu Lieferausfällen kommen. Die Kombination aus diesen Tatsachen und Prämissen hat auch Brüssel auf den Plan gerufen. Bis Ende August gab sie ihren Mitgliedstaaten Zeit, in Stresstests die Robustheit ihrer Gasversorgung zu prüfen. Die Ergebnisse will man zwar erst im Oktober veröffentlichen. Ausgehend von einer Präsentation der Haupterkenntnisse der E-Control, die die Stresstests für Österreich durchgeführt hat, beantwortet „Die Presse“ jedoch vorab die wichtigsten Fragen.

1 Wie wahrscheinlich ist ein Lieferausfall über den Ukraine-Transit?

Zu einer Unterbrechung der Lieferungen über die Ukraine und zu Versorgungsengpässen in Europa war es erstmals 2009 gekommen. Da sich Russland und die Ukraine nun sogar im Krieg befinden, kann sich ein solches Szenario durchaus wiederholen. Selbst Sabotageakte können nicht ausgeschlossen werden, wie eine Explosion an einer Pipeline im Juni gezeigt hat. Zwar hat sich das Transitvolumen durch die Ukraine seit 2005 um ein Drittel auf 86 Mrd. Kubikmeter 2013 verringert. Aber gemessen an den 161,5 Mrd. Kubikmetern, die Russland 2013 nach Europa lieferte, ist es immer noch mehr als die Hälfte.

2 Wie wahrscheinlich ist eine totale russische Gasblockade der EU?

Von Plänen, dass Moskau alle Exportpipelines nach Europa stilllegt, hat am Mittwoch der ukrainische Premier, Arsenij Jazenjuk, gesprochen und damit Verwunderung in Moskau ausgelöst. Auch Walter Boltz, Vorstand der E-Control, meint, diese Aussagen „sollten nicht überbewertet werden“. Russlands Gaskonzern Gazprom, immerhin der größte Steuerzahler des Landes, erwirtschaftet 60Prozent seiner Erlöse in Europa. Das Rohstoffland ist ökonomisch nicht in der Verfassung, auf derartige Einnahmen verzichten zu können.

3 Was kann Österreich im Ernstfall passieren?

Österreich verbraucht jährlich 7,5 Mrd. Kubikmeter Gas, wovon 56 Prozent aus Russland kommen. Wird nur die Lieferung durch die Ukraine eingestellt, sind die Auswirkungen „minimal“, außer dass die Preise steigen, erklärt Boltz. Russland kann die Lieferung über die Ostseepipeline Nord Stream aufstocken und über die Verbindungspipeline Opal bis nach Tschechien und weiter nach Österreich liefern. Zudem wurde in den vergangenen Jahren die Kapazität der unterirdischen Speicher um 180Prozent vergrößert und beträgt nun 7,45 Mrd. Kubikmeter. Sie werden Anfang September prall gefüllt sein. Mehr als ein Drittel ist aber Nachbarstaaten vorbehalten.

Kritisch wird es im Fall einer totalen Gasblockade, zumal, wenn sie länger als vier Monate dauert. Was dann passiert, ist in vielem unklar. Als Schätzwert gilt, dass Österreich langfristig ein Fünftel des nötigen Gases fehlen würde. Kurzfristig kann über italienische Häfen Flüssiggas (LNG) geliefert werden. Die Gaspreise auf den Weltmärkten würden deutlich stärker steigen.

4 Wer in Europa wäre im Ernstfall am meisten gefährdet?

Stehen Österreich und Deutschland mit ihren Vorräten gut da, so sind das Baltikum und Finnland zur Gänze, die Slowakei und Bulgarien zu knapp 90Prozent von Russland abhängig. Die Bulgaren und Slowaken haben schon 2009 gefroren. Die Slowakei kann heute aber über den sogenannten Reverse Flow (also umgekehrten Gasfluss in der Pipeline) etwa aus Tschechien versorgt werden. Bulgarien hat am wenigsten für die Vorsorge getan. Die Balten haben schwimmende Anlagen zum Empfang von Flüssiggastankern (LNG) gekauft. Jedenfalls müssten andere Staaten solidarisch einspringen.

5 Wie kann Europa einen Lieferstopp aus Russland abfedern?

Die EU müsste auf ihre Speicher, in denen 99 Mrd. Kubikmeter lagern, zurückgreifen. Dazu kommt die Möglichkeit, dass EU-Großlieferant Norwegen seine Förderung um zehn bis 20Prozent ausweitet, was aber Zeit braucht. Zeit braucht es auch, den LNG-Import aufzustocken. Zwar stehen in Europa 22 LNG-Terminals mit einer Kapazität von 197 Mrd. Kubikmeter bereit, aber sie sind nur zu einem Viertel genützt, weil zuletzt das meiste Flüssiggas nach Ostasien verschifft wurde. Laut Boltz wären etwa 20 bis 30 Mrd. Kubikmeter LNG auf dem Markt zur Verfügung.

6 Wie groß ist die Nervosität auf dem Markt?

Während die Öffentlichkeit mitunter hysterisch auf Meldungen zum Thema reagiert, bleiben Marktteilnehmer gelassen. Seit Anfang März sind die Börsenpreise für Erdgas von 24 Euro pro Megawattstunde auf 19 Euro gefallen. „Der Markt glaubt nicht, dass es zu Lieferunterbrechungen kommt“, so Boltz.

7 Wie kann der Ukraine in der nächsten Zeit geholfen werden?

In der Ukraine, die im Vorjahr etwa 50 Mrd. Kubikmeter verbrauchte, sind die Speicher zur Hälfte gefüllt. Das Land spart jetzt bereits massiv. Völlig unklar ist allerdings, wie viel es in diesem Winter brauchen wird, da die energieintensive Industrieproduktion in der umkämpften Ostukraine liegt und daher teilweise stillsteht. Über den Reverse Flow aus Ungarn und Polen erhält das Land mittlerweile fünf bis sechs Mrd. Kubikmeter (aufs Jahr gerechnet). Große Hoffnungen liegen auf dem Reverse Flow aus der Slowakei, der von Gazprom allerdings rechtlich behindert wird. Die Slowakei beginnt ihre Lieferungen im September und kann letztlich knapp zehn Mrd. Kubikmeter jährlich liefern.

Web:www.diepresse.com/energie

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2014)

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