Atomenergie: Großbritannien darf AKW-Neubau subventionieren

(c) EPA (Tomas Hudcovic/ISIFA)
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Die EU-Kommission will hohe staatliche britische Zuschüsse für den Bau des Kernkraftwerks Hinkley Point C genehmigen.

Brüssel. Die im Jahr 1957 gegründete Europäische Atomgemeinschaft Euratom mag zwar ein Nukleus des Integrationsprozesses gewesen sein, doch was den Umgang mit Kernkraft anbelangt, liegen die heutigen Mitglieder der EU Lichtjahre voneinander entfernt – während etwa rund drei Viertel des französischen Stroms in Atommeilern generiert wird, bereitet sich Deutschland auf den Ausstieg aus der Kernkraft vor. Österreich wiederum bezieht zwar fleißig Atomstrom, wettert aber gegen jeden AKW-Neubau in der Nachbarschaft.

Dass die Positionen innerhalb Europas so divergent sind, ist an sich kein Problem, denn die Energiepolitik ist gemäß EU-Verträgen die Privatangelegenheit der Mitglieder. Brisant wird es allerdings, wenn es um Maßnahmen geht, die den europäischen Binnenmarkt verzerren könnten – etwa um staatliche Subventionen für den Bau von Reaktoren. In derartigen Fällen muss die EU-Kommission grünes Licht geben – was sich nun für Großbritannien abzeichnet, das den ersten AKW-Neubau seit zwei Jahrzehnten großzügig unterstützen möchte. Wie der Sprecher des für Wettbewerb zuständigen Kommissars Joaquin Almunia am gestrigen Dienstag ankündigte, wird das Kollegium der EU-Kommissare noch vor seinem Abtritt am 31. Oktober eine Entscheidung treffen – und Almunia werde seinen Kollegen empfehlen, die britischen Pläne gemäß der EU-Regeln für Staatsbeihilfen gutzuheißen. „Unsere Diskussionen mit den britischen Behörden haben zu einer Übereinkunft geführt“, sagte der Sprecher. Gesonderte EU-Regeln für den Umgang mit Atomenergie gibt es derzeit nicht.

Baukosten 20,3 Mrd. Euro

Das Kraftwerk Hinkley Point C soll in Somerset in Südwestengland entstehen. Gebaut wird es vom französischen Konzern Areva, der den Meiler mit zwei Druckwasserreaktoren bestücken soll. Auch zwei chinesische Unternehmen wollen sich Medienberichten zufolge an dem 16 Mrd. Pfund (20,3 Mrd. Euro) schweren Projekt beteiligen, das ab 2032 rund sieben Prozent des britischen Stromverbrauchs abdecken soll.

Es sind zwei Faktoren, die staatliche Rückendeckung für AKW notwendig machen. Erstens die Tatsache, dass Meiler gegen etwaige Unglücksfälle nicht versicherbar sind – die Folgekosten eines Unglücks kann nur der Staat tragen, wie es sich vor dreieinhalb Jahren in Fukushima gezeigt hatte. Zweitens – und damit zusammenhängend – sind die Kosten für Sicherheitsmaßnahmen mittlerweile so hoch, dass sie die Finanzkraft der Unternehmen übersteigen. Um dem entgegenzuwirken, will die britische Regierung mehrere Milliarden Pfund (kolportiert wurde eine Summe von 17,6 Mrd. für den Zeitraum 2023 bis 2058) in die Hand nehmen. Dem AKW-Betreiber – dem französischen Konzern EDF – soll demnach ein großzügiger, über dem normalen Niveau liegender Preis für jede produzierte Kilowattstunde zugesagt worden sein, wodurch sich das Kraftwerk über seine 35-jährige Laufzeit amortisieren soll.

Ob die Kommission tatsächlich zustimmt, muss sich noch zeigen, denn der Beschluss muss im Kolleg einstimmig gefällt werden. Außerdem hatte Almunias Behörde noch zu Jahresbeginn die britischen Subventionen als zu hoch eingestuft. Von den europäischen Grünen und Global 2000 hagelte es gestern jedenfalls Kritik. Manchen EU-Mitgliedsländern dürfte der angekündigte Beschluss allerdings willkommen sein – etwa Polen, das im Jänner beschlossen hat, bis zu 14 Mrd. Euro in den Bau von zwei Kernkraftwerken zu stecken, die 2024 ans Netz gehen sollen.

Gebaut wird ein Meiler derzeit auch in Finnland, ein weiterer (der sechste des Landes) ist momentan in Planung. Und vor wenigen Wochen wäre die finnische Regierung fast an Nummer sechs zerbrochen. Der Bauherr des Projekts ist nämlich geopolitisch heikel: Russlands Staatskonzern Rosatom.

>> Lesen Sie Argumente Pro und Contra zur Kernkraft

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)

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