Energie: Amerika schwimmt im Erdöl

Pump jacks are seen in the Midway Sunset oilfield
Pump jacks are seen in the Midway Sunset oilfield(c) REUTERS (LUCY NICHOLSON)
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Die USA überholen Saudiarabien als größter Erdölerzeuger und senken so den Ölpreis – trotz aller Krisen im arabischen Raum.

Wien. Eigentlich ist es paradox. Mit Libyen, Irak und Syrien stehen die klassischen Erdölgebiete unter Feuer – und die Ölpreise fallen trotzdem in Richtung Zweijahrestief. Gut, die Welt braucht für ihre stotternde Wirtschaft heute deutlich weniger Schmierstoff als zu Boomzeiten. Doch um den niedrigen Ölpreis wirklich zu verstehen, muss man einen Blick in die Produktionsstatistiken werfen. Dann wird eines schnell klar: Die Energiewelt ist nicht dieselbe wie vor fünf Jahren. Was in den 1970er- und 1980er-Jahren noch zu Ölpreisschocks geführt hätte, ist heute kaum der Rede wert. Die Welt ist unabhängig von politisch instabilen Erdöllieferanten wie schon lang nicht mehr.

Erstmals seit einem knappen Vierteljahrhundert werden die USA heuer Saudiarabien und Russland als weltgrößte Produzenten von Rohöl und verwandten Flüssigkeiten ablösen. Nach aktuellen Daten der Internationalen Energieagentur (IEA), dem Energieinstitut der reichen Länder, haben Amerika und Saudiarabien im Juli und August je 11,5Millionen Fass (159 Liter) Öl erzeugt. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das die Amerikaner im Lauf des Jahres gewinnen werden.

Die Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen. So schrumpft die Macht des Erdölkartells Opec weiter, das bereits unter den Kämpfen im Irak und in Libyen sowie unter Öldiebstahl in Nigeria leidet. Und auch wenn Riad zurecht einwirft, dass nur Saudiarabien rasch und ohne großen finanziellen Aufwand seine Produktion um 2,5 Millionen Fass am Tag ausweiten könnte, die besten Karten hat das Kartell in den vergangenen zwanzig Jahren schon ausgespielt.

„Die Preise wären sonst unleistbar“

Entscheidend ist dafür vor allem der sogenannte Shale-Boom in den USA, der den Aufstieg des weltgrößten Ölverbrauchers zum größten Ölerzeuger erst ermöglicht hat. Vor allem in Texas und North Dakota pressen Konzerne Gas – und auch Öl (light tight oil) – mit hohem technischen Aufwand aus tiefen Gesteinsschichten. In den kommenden fünf Jahren werde die Produktion der USA auf 13,1 Mio. Fass am Tag steigen, schätzt die IEA. Beinahe die gesamte Ausweitung der Ölproduktion seit 2012 von 3,5Mio. Fass am Tag kommen aus den USA. An den Märkten macht sich das längst bemerkbar. So fiel die Ölsorte Brent seit Anfang 2012 von 125 Dollar auf 95 Dollar. „Wenn die USA kein Schiefergas hätten, wären die Preise an den Tankstellen unleistbar“, sagt Francisco Blanch, Chefökonom der Bank of America.

Amerika lässt sich diesen Boom einiges kosten. Rund 200 Mrd. Dollar wurden zuletzt in eine Industrie investiert, die lang unter Verdacht stand, nur aufgrund staatlicher Beihilfen rentabel zu sein. Ewig werde es so nicht weitergehen, warnt daher auch die IEA. Spätestens 2030 würden die Opec-Länder wieder das Ruder an sich reißen, da die meisten anderen westlichen Staaten (vor allem in Europa) auf die Ausbeutung ihrer eigenen Schiefergasvorkommen verzichten.

Wachablöse im Nahen Osten

Auf den Politikseiten der Zeitungen scheinen die Folgen dieser wirtschaftlichen Neuordnung längst durch. Die USA müssen nur noch ein Fünftel ihres Ölverbrauchs mit Importen decken – 2005 waren es noch 60 Prozent – und stellen ihre Rolle als Weltpolizist daher zusehends infrage. Bis sich US-Präsident Barack Obama für Luftschläge entschieden hat, um die Ölfelder im Nahen Osten zu schützen, ist auffällig viel Zeit vergangen. Und auch jene Stimmen, die sich für ein Schrumpfen des gigantischen US-Militärbudgets stark machen, sind lauter als zu Zeiten, in denen die USA ihre Energieversorgung jenseits der Grenzen sichern musste.

Doch wo Öl ist, lassen „Beschützer“ nicht lang auf sich warten. Erst 2013 hat China die Vereinigten Staaten als weltgrößter Importeur von Rohöl abgelöst. Die ersten politischen Auswirkungen dieser Wachablöse waren in der Vorwoche zu beobachten. Erstmals schickte Peking ein Kriegsschiff in den Persischen Golf. Es gilt, gemeinsam Muskeln zu zeigen mit dem wichtigen Öllieferanten Iran.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2014)

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