Analyse: Energie statt Waffen für die Welt

Tom McGuire stands next to the compact fusion reactor experiment inside his lab at the Skunk Works in Palmdale
Tom McGuire stands next to the compact fusion reactor experiment inside his lab at the Skunk Works in PalmdaleREUTERS
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Der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin will das Rätsel der Kernfusion gelöst haben. Die Welt wäre ihre Energiesorgen mit einem Schlag los. Doch das hören wir nicht zum ersten Mal.

Wien. Sie ist so etwas wie der Heilige Gral der Energiewelt: die Kernfusion. Das Prinzip ist der Sonne abgeschaut: Statt wie in herkömmlichen AKW Atome zu spalten, werden (ähnlich wie im Inneren der Sonne) Wasserstoff-Atomkerne unter starkem Druck und bei großer Hitze aufeinandergeschossen, sodass sie zu Helium-Atomkernen verschmelzen. Dabei werden enorme Mengen an Energie frei, ganz ohne dem Klima zu schaden oder radioaktiven Müll zu verursachen. In der Theorie funktioniert alles prächtig, in der Realität benötigen Fusionsreaktoren bis dato mehr Energie als sie erzeugen. Dennoch galt die saubere Atomkraft seit ihrer Entdeckung vor 100 Jahren wiederholt als die Hoffnung auf die Lösung aller Energiesorgen – und sie könnte es für immer bleiben, sagen Kritiker. Zu oft wurde ein Durchbruch verkündet, der keiner war.

Nun will Lockheed Martin, mit 45 Mrd. US-Dollar (35,1 Mrd. Euro) Umsatz der größte Rüstungskonzern der USA, das Rätsel gelöst haben. In vier Jahren geheimer Forschung habe das konzerneigene Labor, Skunk Works, einen 100 Megawatt starken Fusionsreaktor entwickelt. In einem Jahr soll die Testversion des Compact Fusion Reactor (CFR) fertig sein, in zehn Jahren gar ein serienreifes Kraftwerk, verkündete der Konzern.

Saubere Energie für immer

Damit reiht sich Lockheed Martin in eine lange Liste an Unternehmen ein, die in den vergangenen 60 Jahren Ähnliches versprochen haben. Immer waren sie nur eine Dekade vom Durchbruch entfernt, nie ist es etwas geworden.

Doch hält Lockheed Martin, was es verspricht, würde das die Energiewelt auf den Kopf stellen – und den Rest der Weltwirtschaft gleich mit. Denn das Kraftwerk, das der Rüstungskonzern entwickelt haben will, ist vor allem unglaublich klein: Der Reaktor, der 80.000 Haushalte mit Energie versorgen könnte, käme in einem Truck unter. Aus einem Kilogramm Wasserstoff könnte er darin so viel Energie erzeugen, wie aus 11.000 Tonnen Kohle. Herkömmliche Kraftwerke würden ebenso hinfällig wie die Energiewende oder alle Klimaabkommen der Welt. Schiffe könnten quasi unendlich unterwegs sein.

Und auch, wenn noch nicht klar ist, was der Bau des Reaktors kosten wird, an der Nachfrage mangelt es nicht: Seit 1990 hat sich der Energiebedarf der Menschheit auf 12,7 Milliarden Tonnen Öl-Äquivalente beinahe verdoppelt. Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass diese Zahl bis 2035 auf 15 Mrd. Tonnen weiter steigen wird. Über achtzig Prozent der heute verbrauchten Energie stammen aus fossilen Quellen.

Was taugt der neue Reaktor?

Also kein Wunder, dass auch viele Regierungen sich intensiv um das Thema kümmern. Im südfranzösischen Städtchen Cadarache basteln etwa die EU, USA, China, Russland und Japan gemeinsam am bisher größten Fusionsreaktor. Bekannt unter dem Namen Iter, soll er die investierte Energie einmal verzehnfachen können. Noch sind die Staaten weit davon entfernt.

Ganz anders Lockheed Martin: Der neue Reaktor nutze ein „radikal neues Verfahren“, schreibt das amerikanische Luftfahrtmagazin „Aviation Week“, das angeblich Zugang zu Skunk Works hatte.

Die Patente, die sich der Konzern bisher in dem Bereich schützen ließ, überzeugen Mitbewerber nicht. Der Konzern baue auf eine Kombination bekannter Ansätze, die alle in den 1980er-Jahren fallen gelassen wurden, heißt es. Noch existiere (und funktioniere) der Reaktor nur auf dem Papier. „Einige Kernelemente des Prototyps sind theoretisch und nicht geprüft“, sagt Nathan Gilliland, Chef des kanadischen Rivalen General Fusion. Das Unternehmen entwickelt, wie etliche andere, mit dem Geld von Risikokapitalgebern ein eigenes Konzept. Wer weiß, vielleicht kann es in ein paar Monaten selbst die Frohbotschaft verkünden: Die Lösung aller Energieprobleme ist nur noch zehn Jahre entfernt.

www.diepresse.com/energie

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

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