Europa bleibt von Gazprom abhängig

Valves and pipelines are pictured at the Gaz-System gas distribution station in Gustorzyn, central Poland
Valves and pipelines are pictured at the Gaz-System gas distribution station in Gustorzyn, central PolandREUTERS
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Die Brookings Institution hat mehrere Szenarien des Gasimports bis 2040 durchgerechnet. Keine einzige kommt zum Schluss, dass der Anteil russischen Gases wesentlich sinkt.

Washington. Können die Europäer in irgendeinem realistischen Szenario für die nächsten Jahrzehnte bis 2040 ihre Abhängigkeit vom russischen Staatskonzern Gazprom verringern? Nein, lautet der Schluss einer Studie, die diese Woche an der Brookings Institution vorgestellt worden ist, einem der führenden Washingtoner Thinktanks. „Wir erwarten keine großen Änderungen in der europäischen Gasversorgung“, sagte Tim Boersma, Experte für Energiesicherheit bei Brookings. „Die Preise werden ungefähr gleich bleiben – mit Ausnahme von Österreich“, fügte Tatiana Mitrova hinzu, Mitautorin der Studie und Leiterin der Abteilung für Öl und Gas am Energieforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Für Österreich (genauer gesagt: all jene, die Gas am Knotenpunkt Baumgarten kaufen) würde eine Eskalation des russisch-ukrainischen Konfliktes schon 2015 unerfreuliche Folgen zeitigen. Sollte der Transit durch die Ukraine nicht mehr möglich sein, würden die in Baumgarten verrechneten Preise sich im im Jahr 2015 verdoppeln. Erst ab 2020 wäre eine leichte Preissenkung zu erwarten – allerdings nur dann, wenn die von Gazprom forcierte Rohrleitung South Stream gebaut und in Betrieb ist.

Ukraine droht Energiekrise

Das wäre für Österreich unangenehm, für Gesamteuropa hingegen vorläufig nicht dramatisch, sagte Mitrova. Der Ausfall der ukrainischen Transitroute „hätte keine katastrophalen Auswirkung. Es würden ungefähr sechs Prozent weniger Gas im Westen ankommen.“ Dramatisch ist jedoch der Ausblick für die Ukraine. „Die Speicher dort sind für einen warmen Winter ausreichend gefüllt“, sagte Mitrova. „Aber sogar für einen normalen Winter bräuchten sie zusätzliche Quellen, zumal die Ukraine unter Kohlemangel leidet.“ Robin Dunnigan, stellvertretende Staatssekretärin für Energiediplomatie im US-Außenamt, stimmte zu: „Es sieht so aus, dass die Ukraine diesen Winter mehr Gas brauchen wird. Wir hoffen, dass sie im nächsten Winter russisches Gas kaufen kann und nicht, wie jetzt, muss.“

Die Brookingsstudie, die auf einer Computersimulation aller Gasimportrouten, Flüssiggasanlagen, einem Ölpreis von 100 Dollar je Fass und einem Wachsen der globalen Gasnachfrage von 48 Prozent bis zum Jahr 2040 fußt, widerspricht zwar nicht der Annahme der Europäischen Kommission, wonach sich in diesem Winter rund 80 Prozent des russischen Gases durch Reserven, mehr Gas aus Norwegen und den Kauf von Flüssiggas aus Übersee ersetzen ließe.

Sie räumt aber mit der Illusion auf, dass der Schiefergasboom, der von den USA ausgehend weltweit für immer mehr Flüssiggas sorgt, Europa von Gazproms politischer Macht befreien kann: „Die wachsenden Flüssiggasimporte nach Europa werden die Hauptquelle sein, um die schrumpfende eigene Produktion zu ersetzen.“ Rund um 2020 dürfte Europa gut ein Drittel weniger Gas produzieren als heute.

Die Studie ließ übrigens einige für Russlands Gasexport besonders vorteilhafte Annahmen unberücksichtigt, zum Beispiel einen dauerhaft niedrigeren Ölpreis. „Wenn der sinkt, wird russisches Erdgas gegenüber Flüssiggas noch wettbewerbsfähiger“, sagte Mitrova.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

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