Ungeborgene Schätze am Kaspischen Meer

RUSSIA GAS
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Keine Gasquelle ist für Europa so aussichtsreich wie der kaspische Raum. Die Vorräte sind gigantisch. Dass das Pipelineprojekt Nabucco jüngst scheiterte, heißt aber nicht, dass nicht beizeiten ein neues kommt.

Wien. Schon die bisherigen Teile unserer losen Serie über Europas alternative Gasquellen als Ersatz für russisches Erdgas haben gezeigt, dass nennenswerte Volumina erst in einigen Jahren andernorts zugekauft werden können. Inzwischen weiß man aufgrund der EU-Stresstests immerhin, dass Europa zumindest in diesem Winter selbst bei einem – unwahrscheinlichen – Totallieferstopp der Russen in keine bedrohliche Notsituation gelangen würde. Aber wegen der generell übermäßigen Abhängigkeit von Russland und wegen des ungelösten Konflikts zwischen Russland und dem Transitland Ukraine geht die Sondierung neuer Liefergebiete weiter voran.

Denkt man dabei mittel- und langfristig, kommt Europa um eine Gegend ganz bestimmt nicht umhin: den Raum rund um das Kaspische Meer. Hier liegen Vorräte, die Europas Herz schon vor Jahren haben höher schlagen lassen. Hier auch haben europäische Konzerne unter der Leitung der OMV jahrelang versucht, über eine sogenannte Nabucco-Pipeline Zugang zu den Ressourcen zu erhalten. Das Unterfangen ist im vorigen Sommer aus diversen Gründen gescheitert. Zumindest die geplante Route nach Wien findet nicht statt. Stattdessen hat ein von der aserbaidschanischen Gasgesellschaft Socar und der britischen BP geführtes Konsortium eine Pipeline namens TAP über Griechenland und das Adriatische Meer bis nach Süditalien beschlossen. Anfänglich zehn und später vielleicht 20 Mrd. Kubikmeter sollten dort ab 2018 fließen – gefördert aus aserbaidschanischen Quellen, vor allem aus dem Feld Schah-Deniz.

Umworbene Braut Turkmenistan

Der Status quo ist freilich nicht nur für die EU unbefriedigend, die um eine Lösung für den unterversorgten Balkan ringt. Die TAP-Lösung ist auch für die kaspischen Anrainerstaaten nicht zufriedenstellend, da sie außer Aserbaidschan – und dem Transitland Türkei (TANAP) – niemandem etwas bringt.

Vor allem Turkmenistan, das diktatorische Land östlich des Kaspischen Meeres, bleibt bislang außen vor. Dabei lagern dort die viertgrößten Vorkommen der Welt. Auf 17,5 Bio. Kubikmeter taxiert BP in seinem maßgeblichen „Statistical Review of World Energy 2014“ die dort nachgewiesenen Vorkommen – genug, um den EU-Gesamtverbrauch für mindestens 35 Jahre und Österreichs Bedarf für 2250 Jahre allein zu decken. Der Großteil lagert nahe der alten Parther-Hauptstadt Merv im Gasfeld Galkynysh, das als zweitgrößtes Feld der Welt gilt.

Zögerliche EU

Dass Turkmenistan und Europa nicht zusammenkommen, liegt an den knapp 300 Kilometern Meer, die auf dem Weg zueinander dazwischen liegen. Nur zu gern würden beide Seiten eine Transkaspische Pipeline (TCP) als Verbindungsstück legen, das nebenbei noch Zugang zu den kasachischen Vorräten schaffen würde. Aber der Widerstand ist groß, weil der Status des Meeres zwischen den Anrainerstaaten nicht geklärt ist und gerade Russland kein Interesse hat, seinen Widerstand gegen das Projekt aufzugeben. Über Jahrzehnte nämlich führte die einzige Exportroute aus Turkmenistan über Russland, das seine Monopolstellung schonungslos ausnützte und 2009 wegen des krisenbedingt geringeren Zukaufbedarfs eine Pipeline aus Turkmenistan kurzerhand explodieren ließ. Vor wenigen Jahren gelang Turkmenistan der erste Befreiungsschlag, indem China als Abnehmer hinzukam.

Die Pläne sind groß, schließlich will Turkmenistan seine Gasförderung bis zum Jahr 2030 auf 230 Mrd. Kubikmeter verdreifachen. Mit Europa freilich redete man bis zuletzt nur sehr vorsichtig. Weil Staatspräsident Gurbanguly Berdymuchammedow die Omnipräsenz der Russen fürchte, habe er die ersten Gespräche mit den Europäern vor einigen Jahren in einem abgelegenen Zimmer im Rahmen einer UNO-Vollversammlung in New York geführt, so ein Insider aus diplomatischen Kreisen zur „Presse“.

Nabucco 2.0

Aber auch die EU sei bislang nicht offensiv genug gewesen, meint Walter Boltz, Vorstand der E-Control Austria: Man müsse für ein solches Unterfangen in längeren Zeitdimensionen rechnen. Und man müsse den Bau einer Pipeline strategisch und nicht von Anfang an ausschließlich kommerziell andenken. Gas aus dem kaspischen Raum sei für Europa mindestens so aussichtsreich wie eine gesteigerte Versorgung durch Flüssiggas, erklärt Boltz und gibt sich überzeugt, dass wir „in zehn bis 15 Jahren eine neue Pipeline von dort haben werden, die auch die Balkanländer versorgt“.

Gewissermaßen eine Nabucco 2.0 also. Und damit eine Neuauflage des alten Wettrennens zwischen Nabucco und der von Gazprom geplanten russischen Pipeline South Stream über den Balkan nach Wien. 30 bis 60 Mrd. Kubikmeter an Leitungskapazität pro Jahr galten und gelten als sinnvoll. Und die Pipeline müsste nicht nur als EU-Initiative daherkommen, sagt Boltz: Sie müsste auch so konzipiert sein, dass möglichst viele Zulieferer angebunden werden können. Selbst das israelisch-zypriotische Leviathan-Gasfeld könnte mit einer Unterwasserpipeline in die Türkei angeschlossen werden. Dazu der Nordirak. Und sogar der Iran, der eigentlich eine eigene Pipeline rechtfertige.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)

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