Bahnsteuerung: Züge sollen Stop-and-go vermeiden

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ER�FFNUNG SALZBURGER HAUPTBAHNHOF: FOTOTERMIN MIT MINISTER ST�GER(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Die ÖBB entwickeln neue Software, mit der Züge auch bei Stau und Bauarbeiten grüne Welle haben. Das spart Energie, weil unnötiges Bremsen vermieden wird.

Morgens im Pendlerzug. Plötzlich wird der Zug langsamer, obwohl keine Haltestelle in Sicht ist. Oft bleiben Züge auf offener Strecke stehen, wenn eines ihrer Signale noch nicht auf Grün geschaltet hat, weil zum Beispiel der vorausfahrende Zug Verspätung hat. Solche Verzögerungen stören nicht nur die Fahrgäste.

Auch die Bahnbetreiber wollen unnötiges Bremsen und Wiederbeschleunigen vermeiden, weil dabei viel Energie verloren geht. „Einzelfahrten unserer Züge sind bereits so optimiert, dass energiesparend gefahren wird“, berichtet Michaela Haberler-Weber von der ÖBB-Infrastruktur AG.

Jeder Lokführer ist darauf geschult, das Ausrollen des Zuges zu nutzen und Bremsungen zwischendurch zu vermeiden. „Doch wenn Abweichungen auftreten oder an einer Stelle durch Bauarbeiten langsamer gefahren werden muss, dann entsteht ein Rückstau, von dem nachfolgende Züge betroffen sind“, sagt Haberler-Weber. Im kürzlich abgeschlossenen Projekt EcoRailNet wurde getestet, wie man das stromfressende Wiederanfahren von Zügen vermeiden kann. Die Idee war, die Betriebsführung des Bahnverkehrs mit der Steuerung des Bahnstromnetzes zu verknüpfen. Die Förderung dazu kam über die Forschungsförderungsgesellschaft FFG vom Infrastrukturministerium.

Display liefert Informationen

Die Vision ist, dass die Steuerungszentrale und alle Lokführer eine dynamisch aktualisierte Geschwindigkeit übertragen bekommen. Das heißt, dass vor allem die vom Stau betroffenen Züge auf jeder Teilstrecke einen Hinweis erhalten, wie sie fahren sollten, um grüne Welle zu haben. „Fahren Sie die nächsten 20Kilometer 90 statt 100km/h“, könnte eine Anweisung lauten, die der Lokführer über ein Display erhält.

Die Forschungen der ÖBB-Infrastruktur AG und der ÖBB-Produktion GmbH wurden in Kooperation mit der Technologiefirma Thales und der Technischen Universität Wien durchgeführt.

Millionen von Daten

Unter Begleitung eines Fachmanns vom Eisenbahninstitut erstellten die TU-Informatiker einen neuen Algorithmus, der die großen Datenmengen eines solchen Systems bewältigen kann.

„Wenn man eine optimale Einzelfahrt berechnen will, läuft das relativ einfach ab. Die Phasen Beschleunigung, Geschwindigkeit-Halten, Ausrollen und Bremsen kann man für alle Teilstrecken anpassen“, sagt Johann Blieberger vom Institut für Automation. „Schwierig wird es erst, wenn man das Gesamtsystem optimieren will und alle möglichen Fahrten aller Züge simulieren soll. Doch zum Glück gibt es mathematische Grundlagen, die uns das Leben erleichtern“, so Blieberger.

Zur Veranschaulichung der Datenmenge nimmt er ein Beispiel mit nur vier Zügen, die in einem Bahnhof zusammentreffen und sich überholen oder warten müssen. „300 Millionen verschiedene Zustände muss man dafür berücksichtigen. Unser Algorithmus bricht das auf ein paar hundert Datenpunkte herunter, damit es handhabbar wird. Der Rechenvorgang dauert etwa eine halbe Sekunde“, sagt Blieberger.

Teststrecke bei Nickelsdorf

Die Rechengeschwindigkeit lässt sich noch weiter erhöhen, wenn statt auf herkömmlichen Computern direkt auf Grafikkarten mit über 1500 Prozessoren gearbeitet wird. „So kann man größere Anfragen problemlos in den Griff bekommen“, sagt Blieberger.

Für das aktuelle Projekt war es nicht notwendig, die Zahl aller möglichen Zustände für ganz Österreich zu berechnen, sondern der Algorithmus beschränkt sich immer auf die Teilabschnitte, auf denen es zu Problemen wie Stau oder Baustellen kommt. Dann rechnet das System die Abweichungen vom vorgegebenen Fahrplan in Echtzeit aus und sendet die neuen Geschwindigkeitsvorgaben an die Zentrale und an die Lokführer.

Die neu entwickelte Software ist jetzt als Prototyp bzw. Demonstrator fertig. Die Eingangsdaten für die Berechnungen werden aus verschiedenen Zugsteuersystemen und der elektrischen Leitstelle erhoben. Auch das Gewicht jedes betroffenen Zuges fließt ein, da sich mit der Masse ja Beschleunigung und Bremsweg ändern.

Güterzüge sind je nach transportierter Ware unterschiedlich schwer, bei Personenzügen ändert sich sogar an jeder Haltestelle das Gesamtgewicht.

„Die Demonstratoren sind noch nicht einsatzfähig, weil das Steuerungssystem der Bahn hohe sicherheitstechnische Anforderungen stellt“, betont Haberler-Weber. Doch auf der Ostbahn-Strecke zwischen Wien und Nickelsdorf wurde das neue Leitsystem schon getestet. Je nach Verkehrsbelastung wurden den Triebfahrzeugführern jeweils aktuelle Fahrempfehlungen auf einem Smartphone oder Tablet angezeigt.

Lokführer gestalten mit

„In den Tests ergab das eine an der Lok gemessene Energieeinsparung von drei bis zehn Prozent“, sagt Haberler-Weber. Die Lokführer wurden befragt, welche Informationen so ein neues System bereitstellen soll und wie sie den Prototyp noch verbessern würden.

„Das ist für die Praxis wichtig, denn ein Lokführer muss ja auch noch auf andere Dinge als diese Einblendung achten“, sagt Haberler-Weber. Das Forscherteam strebt nun die nächste Projektphase an: Wie müssten die neu entwickelten Prozesse adaptiert werden, damit man sie in die hochkomplexe Software der Bahnsteuerung implementieren kann?

LEXIKON

EcoRailNet war ein zweijähriges Forschungsprojekt von ÖBB, TU Wien und Thales, dem Anbieter von Zugkontroll- und Kommunikationssystemen. Die Förderung kam vom Infrastrukturministerium.

Algorithmen sind mathematische Berechnungsverfahren. Im Projekt konnten durch neue Algorithmen für die Zugsteuerung auf der Teststrecke drei bis zehn Prozent der Energie eingespart werden, indem auf aktuelle Probleme wie Bauarbeiten reagiert wurde.

Mehr auf:http://diepresse.com/energie

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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