2015 wird die Welt mit billigem Erdgas geflutet. Experten rechnen mit bis zu einem Drittel niedrigeren Preisen in Asien, den USA und auch Europa. Die Österreicher könnten davon allerdings nur wenig abbekommen.
Wien. Minus 50Prozent in sechs Monaten. Einen so starken Preissturz, wie ihn Erdöl seit dem vergangenen Sommer hingelegt hat, erlebt die Welt nicht allzu oft. Doch während die Branche noch ihre Wunden leckt und erste Mitarbeiter entlassen muss, steht schon der nächste Crash-Kandidat in den Startlöchern: Auch Erdgas wird in den kommenden Monaten einen Preissturz hinlegen, sind Beobachter überzeugt. Schon im Dezember gaben die Gaspreise in den USA kräftig nach. In Asien erwarten von Reuters befragte Experten im heurigen Jahr um bis zu 30Prozent günstigeres Gas.
In Europa dürfte der Preisverfall etwas geringer ausfallen. Denn anders als etwa in Asien sind Gaslieferverträge mit einer starren Bindung an den Ölpreis nicht länger die Regel. Lediglich ein Viertel der Lieferverträge hängt noch direkt am Ölpreis. Dafür haben nicht zuletzt die europäischen Energiefirmen gesorgt, die jahrelang mit ihren Lieferanten darum gekämpft haben, die Ölpreisbindung zugunsten einer stärkeren Orientierung an den (damals günstigeren) Börsenpreisen zu reduzieren.
Europa ist massiv überversorgt
Erst am gestrigen Mittwoch verkündete etwa die heimische OMV den erfolgreichen Abschluss eines derartigen Umbaus der langfristigen Liefervereinbarungen mit der russischen Gazprom. Damit ist aber auch die übliche Regel, wonach der Gaspreis dem Ölpreis mit einem halben bis dreiviertel Jahr Verspätung „nachläuft“, außer Kraft gesetzt.
Warum Europa dennoch auf billigeres Gas hoffen darf, ist rasch erklärt: „Europa ist massiv überversorgt“, sagt der heimische E-Control-Chef, Walter Boltz, zur „Presse“. Die Gasspeicher in Europa waren im Herbst randvoll, der Winter seither nicht der Rede wert, die Gaskraftwerke stehen still, und selbst die Industrie fällt als ernsthafter Abnehmer aus. Gleichzeitig sorgt der Schiefergas-Boom in den USA für zusätzliche Entlastung auf der Angebotsseite. Spätestens im Frühjahr werden die Versorger ihr gespeichertes Gas in Europa auf den Markt bringen. Boltz rechnet daher mit einem um zehn bis zwanzig Prozent günstigeren Großhandelspreis für Erdgas in den kommenden Monaten.
Keine guten Nachrichten für Gazprom, die schon im Vorjahr um neun Prozent weniger Erdgas nach Europa liefern konnte und erst am Mittwoch bekannt gab, die Pläne für den Ausbau der Nord-Stream-Pipeline auf Eis zu legen.
Wirklich freuen über die fallenden Preise können sich aber auch die heimischen Haushaltskunden nicht. In diesem Winter werden sie vom Gas-Crash wohl nichts spüren. Denn die Versorger geben erst jene Gasmengen, die sie im Sommer – zu deutlich höheren Preisen – eingelagert haben, an ihre Kunden weiter. Da hilft es wenig, dass das Gas in den vergangenen drei Monaten um 15Prozent günstiger geworden ist. Noch ist nicht einmal sicher, dass das billige Gas den Weg zu den Kunden überhaupt findet. Schnell geht es in keinem Fall.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2015)