Deutschland: Energiewende wird immer teurer

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Kosten der Energiewende werden heuer 28 Mrd. Euro betragen, rechnet das IW Köln vor. Das sind 270 Euro pro Haushalt. Der Grund für den Anstieg sind neue Umlagen.

Wien/Köln. Nicht immer ist für Österreicher verständlich, was deutsche Politiker sagen. Wenn die Dynamik bei den Stromkosten nicht durchbrochen wird, „haben wir mit Zitronen gehandelt“, stellte Sigmar Gabriel Anfang 2014 schonungslos fest. Was der deutsche Wirtschaftsminister und SPD-Vizekanzler, der damals gerade die Agenden der Energiepolitik an sich gerissen hatte, damit meinte: Dann stehen die Bürger nicht mehr hinter der Energiewende, dann war das ganze gewaltige Projekt ein Misserfolg. Sprachwissenschaftler rätseln, woher die seltsame und hierzulande ungebräuchliche Redewendung kommt. Ähnlich ratlos steht die Politik nun vor neuen Zahlen: Die Kosten steigen kräftig weiter. Das ist das Fazit einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, über die das „Handelsblatt“ berichtet.

Das IW Köln rechnet vor: Die Kosten der Energiewende belaufen sich heuer auf 28 Mrd. Euro. Für einen durchschnittlichen Haushalt mit einem jährlichen Stromverbrauch von 3500 Kilowattstunden sind das 270 Euro. Vor wenigen Jahren waren es noch 200 Euro. Die Zahlen mögen manche überraschen. Denn der größte Kostenblock bleibt, mit 21 Mrd. Euro, die Umlage zur Förderung von sauberen Strom, die jedem Betreiber einer Solar- oder Windkraftanlage einen fixen, weit über dem Marktpreis liegenden Preis garantiert. Und hier hat Gabriel mit einer Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Vorjahr scheinbar „geliefert“: Der Anstieg bei dieser Umlage hat sich eingebremst.

Netzausbau, Offshore, Reserve

Dafür kommen aber immer neue Belastungen hinzu. In der IW-Kalkulation sind diese Mehrkosten nun eingerechnet. Aufmerksamen Verbrauchern wird etwa nicht verborgen bleiben, dass der Posten „Netzentgelte“ auf ihrer Stromrechnung steigt. Der Grund: Immer mehr Strom wird in windigen Gegenden Norddeutschlands produziert, wo er nicht gebraucht wird. Um ihn zur Industrie und in die Ballungsräume im Süden und Westen zu bringen, bauen die vier Netzbetreiber riesige neue Trassen – eines der größten Infrastrukturprojekte des Landes, das die Stromkunden mit einer eigenen Umlage bezahlen müssen. Kosten für heuer: vier Mrd. Euro, Tendenz steigend. Dazu kommt eine Milliarde, die Offshore-Haftungsumlage heißt und mit den Pannen bei der Anbindung von Windparks im Meer ans Stromnetz zu tun hat.

Ganz aktuell ist das Thema Kapazitätsreserve: Weil bei Windstille und bedecktem Himmel zu Spitzenzeiten ein Blackout droht, braucht es Reserven. Konventionelle Öl-, Gas- und Kohlekraftwerke sind aber im laufenden Betrieb nicht mehr rentabel, auch weil das große Angebot an Wind- und Sonnenenergie die Preise drückt. Die „Bild“-Zeitung berichtet, dass 57 von ihnen vom Netz gehen – neun mehr als noch zu Jahresbeginn geplant. Dazu zählen auch altgediente Braunkohlekraftwerke mit insgesamt 2,7 Gigawatt Leistung, die als Reserve herhalten müssen und im Bedarfsfall hochgefahren werden. Die Entschädigung dafür holen sich die Betreiber vom Staat und dieser vom Verbraucher: weitere zwei Mrd., in denen auch zusätzliche Förderungen für Fernwärme enthalten sind. Macht in Summe die genannten 28 Milliarden Euro.

Ausdrücklich betonen die Autoren der Studie, dass sie keinen Systemvergleich angestellt haben. Mittlerweile kommen schon 34 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms aus erneuerbaren Energien. Es lässt sich aus den IW-Zahlen nicht ablesen, ob die Kosten niedriger wären, wenn man bei Atomkraft und konventionellen Quellen geblieben wäre. Anzunehmen ist es aber. Zwar ist die EEG-Umlage auch deshalb gestiegen, weil sie nur sinkende Strompreise ausgleicht. Aber diese niedrigeren Preise kommen zum größeren Teil nicht aus dem Mehrangebot an Solar- und Windstrom, sondern aus den international fallenden Preisen für fossile Rohstoffe.

In Zukunft kann die Rechnung freilich immer noch aufgehen, wenn die fossilen Energien knapper werden und ihre Kosten steigen. Dann ist Deutschland als Klimavorreiter bestens aufgestellt. Was viele Experten – und auch die Forscher vom IW Köln – deshalb fordern, ist keine Abkehr von der Energiewende. sondern eine effizientere Umsetzung mit mehr Markt- und weniger Planwirtschaft.

Solange freilich die Kosten weiter steigen, werden die deutschen Stromkunden beim Thema Energiewende immer öfter das Gesicht verziehen – als hätten sie in eine Zitrone gebissen. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2015)

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