Ein Hightech-Haus für Erbsenzähler

Solarenergie
Solarenergie(c) Michaela Bruckberger
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Am 14. November ist das erste Plus-Energie-Bürohochhaus Österreichs ein Jahr in Betrieb. Ein Besuch im Forschungsobjekt.

Am spektakulärsten für das Auge ist ohne Zweifel der Ausblick über die Innenstadt. Wer seine Tour ganz oben im elften Stock des frisch generalsanierten Gebäudes der TU am Wiener Getreidemarkt startet, wird mit einem außergewöhnlichen Blick auf Stephansdom und Co. belohnt. Nur wenige Schritte geht es über Stiegen abwärts, die von Tageslicht erhellt sind.

Am ersten Treppenabsatz ist eines der unzähligen Puzzleteile zu sehen, die dafür sorgen sollen, dass der Bau mehr Energie gewinnt, als er verbraucht: Aufzugmeider gehen hier direkt hinter der Fotovoltaik (PV)-Anlage vorbei, die in die Dreifach-Verglasung des Stiegenhauses integriert ist. PV-Zellen blasenfrei in Glas hineinzubekommen sei technologisch gar nicht so einfach, sagt der wissenschaftliche Leiter des Prestigeobjekts, Bauphysiker Thomas Bednar. Die Methode half aber, am Gebäude Platz für beachtliche 2200 Quadratmeter PV zu finden. Weit mehr, als das Dach allein geboten hätte. Gleichzeitig schützen die Zellen das Stiegenhaus vor zu starker Sonneneinstrahlung.

Aber mit ein paar schlauen Einfällen dieser Art war es nicht getan. Schließlich wollten Bednar und sein Forscherteam auch dann noch ein Energieplus erwirtschaften, wenn sie die gesamte Nutzung des Gebäudes einberechnen, inklusive Computer und Kaffeemaschinen. Insgesamt geht es um 9300 optimierte Einzelkomponenten. „Man muss Lust zum Erbsenzählen haben“, fasst Bednar den Denk- und Tüftelprozess zusammen.

Außer den „gläsernen“ PV-Anlagen sticht beim Gang nach unten nichts weiter ins Auge, das besonders innovativ oder energiesparend aussehen würde. Auf jedem Stockwerk versperren Glastüren links und rechts den Weg in die ebenso gläsernen Institutsgänge. Dazwischen: der Aufzug. Das Ganze wirkt architektonisch gelungen, aber gewöhnlich. Ein Zweckbau eben.

Automatisch abschalten

Der Energiespar-Clou liegt im Detail. Manuel Ziegler vom Institut für Hochbau und Technologie hat die Umwandlung des Gebäudes als Projektassistent mitgestaltet. In einem Seminarraum zeigt er auf kleine, weiße Kästchen an der Decke: Bewegungsmelder. Registrieren sie, dass niemand mehr im Raum ist, schalten sich Stromverbraucher wie Licht und Lüftung automatisch ab. Ein einzelner Bewegungsmelder zieht dabei gerade mal eine Leistung von 0,05 Watt ab. Statt der bis zu zwei Watt eines herkömmlichen. Auf das ganze Gebäude mit seinen rund 550 Bewegungsmeldern gerechnet, ergibt sich dadurch eine jährliche Stromersparnis in der Höhe des Verbrauchs eines Einfamilienhauses.

Auch das mit dem Tageslichteinfall abgestimmte Beleuchtungskonzept glänzt durch minimalen Stromverbrauch. Obwohl die Technik schon jetzt nicht mehr die neueste ist: „Es sind damals die modernsten LED-Strahler eingebaut worden. Man muss aber ehrlicherweise sagen: Die Forschung ist da so schnell, dass sie jetzt schon wieder veraltet sind“, so Ziegler.

Im Untergeschoß, mitten in einem System aus schwarz ummantelten Rohleitungen und Ventilanzeigen, verweist er auf den danebenliegenden Serverraum. Dessen Abwärme wird im Winter über die Fußbodenheizung im Gebäude verteilt. Das System funktioniert nur, wenn alle leistungsstarken Rechner im Keller versammelt sind und aus den Büros nur noch ferngesteuert werden. Gleichzeitig erhitzen sich die Büroräume dadurch weniger. Manch einer mag allein bei dem Gedanken kalte Füße bekommen, dass die Heizung eines 50 Meter hohen Gebäudes von PC-Abwärme abhängt. Aber es sind eben die rechenintensiven Computer von Forschern. Sie liefern weit mehr Wärme, als bloße Textverarbeitungscomputer. Außerdem hängt man trotz allem am Fernwärmenetz. Genauso am städtischen Stromnetz, in das der PV-Überschuss sonniger Perioden fließt.

Das vom Technologieministerium geförderte Plus-Energie-Haus soll auch noch das kleinste Energiespar-Potenzial ausschöpfen. Mit dem Ergebnis leben müssen die 800 Mitarbeiter der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften. Manch einer darunter spricht von einer Bevormundung durch das Gebäude, etwa weil klassisches Stoßlüften kaum möglich ist. Zwar lässt sich jedes Fenster öffnen, aber vorgelagerte Prallscheiben verhindern den schnellen Luftaustausch, trotz Lüftungsschlitzen. Dafür schützen sie die Jalousien vor starkem Wind.

24 Stunden Daten sammeln

Es gibt also noch Optimierungsbedarf. Deswegen sammeln die Forscher mit über 1300 Messfühlern rund um die Uhr Daten. Mit diesen und dem Feedback der Nutzer wollen sie in den kommenden Jahren noch viel mehr dazulernen. Ziegler: „Das ist unsere Hauptaufgabe.“

Im Aufzug, der übrigens mit einer Bremsenergie-Rückgewinnung versehen ist, geht's noch einmal ganz nach oben – die lohnenswerte Aussicht genießen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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