Die dunkle Seite des Ökostroms

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Sehr lange Transportwege und künstliche Preisstützung gefährden zusehends die Stromversorgung. Die Kosten für Notmaßnahmen haben sich in Österreich 2015 auf 202 Mio. Euro verzehnfacht.

Wien. Ökostrom hat ein positives Image. Er gilt als modern, sauber und fast unbegrenzt verfügbar. Die explosionsartige Zunahme seiner Produktion wird jedoch zusehends zur Bedrohung für das Funktionieren der Netzinfrastruktur. Stark vereinfacht gesagt gefährden die immer längeren Transportwege des Ökostroms die Versorgungssicherheit aller Kunden. Um Netzausfälle mit unabsehbaren Folgen zu vermeiden, müssen die Infrastrukturbetreiber immer öfter mit Notmaßnahmen entgegenwirken. Die Kosten dafür haben sich im vergangenen Jahr auf 202 Mio. Euro fast verzehnfacht. Und: Bei der Umsetzung dieser Notmaßnahmen behilflich sind ausgerechnet Energieträger wie Gas, die der vermeintlich saubere Strom eigentlich verdrängen sollte. Wie ist das möglich?

Tagtäglich ist die Austrian Power Grid (APG) damit beschäftigt, den Strom bundesweit am Fließen zu halten. Das Unternehmen betreibt das Hochspannungsnetz im Land und ist über seine Partner im Ausland in das gemeinsame europäische Hochspannungsnetz eingebunden, das von Portugal bis zur Ukraine reicht.
Dieses Netz, an dem alle Kraftwerke hängen, ist mit dem Autobahnnetz vergleichbar: Praktisch jeder Verkehr über weite Strecken nutzt das System – und wird an den Schnittpunkten von Landes- an Gemeindestraßen mit weniger Kapazität übergeben, die jedoch bis zur Hauseinfahrt reichen. In der Welt des Stroms wären das die regionalen Energieversorger.

Engstellen in Salzburg und Deutschland

Wie das Autobahnnetz hat auch das Hochspannungsnetz Engstellen. Auf der Straße staut es sich während der Hauptreisezeit an Eng- und Baustellen. 380-Kilovolt-Leitungen erreichen ihre Kapazitätsgrenzen dann, wenn Energie immer seltener regional produziert und verbraucht wird, dafür immer öfter weite Wege gehen muss – nicht selten quer über den halben Kontinent. Seit billiger, weil mit Förderungen gestützter Ökostrom etwa in Windparks an der Nordsee entsteht, aber nach Italien verkauft wird, kommt es entlang der Starkstromleitungen nahezu täglich zu brenzligen Situationen.

Besagte Engstellen für den Strom befinden sich etwa in Mitteldeutschland, aber auch hierzulande in Salzburg, wo das österreichische Hochspannungsnetz eine Schwachstelle hat. Ist abzusehen, dass die Leitung dem Energiefluss nicht standhält, passiert Folgendes: In der Steuerwarte der APG an der Wiener Außenringschnellstraße wird dem Windstrom aus Deutschland der Stecker gezogen und ein anderes Kraftwerk zugeschaltet, dessen Strom nicht über die Engstelle fließt.

Genau genommen bekommt der italienische Käufer des deutschen Ökostroms aufgrund dieser Notmaßnahme dann Energie aus einem österreichischen Gaskraftwerk. Für den Käufer ändert das nichts, das Hochfahren des Gaskraftwerks muss dem Eigentümer jedoch abgegolten werden. 2015 entstanden durch solche Netzeingriffe 202 Millionen Euro an Extrakosten. Im Jahr davor waren es knapp 21 Mio. Euro.

Bemerkenswert ist auch, dass drei Viertel des Stroms, der im Rahmen von Notmaßnahmen zur Erhaltung der Netzstabilität produziert wird, aus mit fossilem Erdgas betriebenen Kraftwerken stammen. Aber warum ist das so? „Der Ausbau von gefördertem Wind- und Solarstrom schreitet zügig voran. Der dringend notwendige Netzausbau ist jedoch durch langwierige Genehmigungsverfahren massiv verzögert“, sagt Gerhard Christiner. Der Diplomingenieur ist Vorstand für den technischen Betrieb der APG und dafür verantwortlich, dass in Österreich das Licht nicht ausgeht. Diese Aufgabe ist in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden. Wenn der Wind bläst oder die Sonne scheint, dann muss Ökostrom per Gesetz nämlich ins Netz gespeist werden. Ist zu viel davon da, wird er in Österreich meist in Form von Wasser in den Pumpspeichern der Alpen zwischengespeichert. Dafür braucht es jedoch auch jederzeit ausreichend Transportkapazitäten.

25 Jahre bis zur Inbetriebnahme

„Es gibt aber Tage“, sagt Christiner, „an denen wir den überschüssigen Strom aus den burgenländischen Windparks gar nicht bis in die Berge bringen.“ Oder anders formuliert: Der APG (und vielen anderen europäischen Netzbetreibern) fehlen Hochspannungsleitungen.
Deren Baufortschritt kann aufgrund der langen Verfahren mit dem Tempo des Windparks bei Weitem nicht mithalten. Ein solcher entsteht heutzutage binnen drei Jahren. So lang brauchte jedoch allein die erste Instanz für die dringend benötigte 380-kV-Leitung in Salzburg. Die Errichtung der 2009 eröffneten 380-kV-Trasse durch die Steiermark dauerte von der Einreichung bis zur Inbetriebnahme gar 25 Jahre. Zeit, die die Stromwirtschaft, die sich gerade selbst neu erfindet, nicht mehr hat.

Auf einen Blick

Förderungen. Staaten wie Österreich oder Deutschland fördern die Produktion von Wind- und Sonnenstrom massiv. Produzenten bekommen in Österreich 13 Jahre lang garantiert, und je nach Anlage, etwa 90 Euro pro Megawattstunde (MWh). Auf dem Markt erzielt dieser Strom derzeit Preise, die bei etwa einem Drittel davon liegen. Das bedeutet: Händler reißen sich darum. Am heurigen Muttertag war Ökostrom sogar kostenlos zu haben. Da die Energie jedoch hauptsächlich in Windparks an der Nordsee entsteht, wird sie immer weiter über den Kontinent transportiert. Das belastet das Hochspannungsnetz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2016)

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