Strompreis vor starkem Anstieg

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In den nächsten Tagen wird die europäische Energieagentur eine Trennung des österreichischen und deutschen Strommarkts anordnen. Für Verbraucher und Industrie hätte das hierzulande massive Folgen.

Wien. Strom wird in Österreich bald teurer werden. „Presse“-Informationen zufolge soll die europäische Energieagentur Acer noch in der ersten Novemberhälfte eine Entscheidung veröffentlichen, in der sie die Aufhebung des – bisher gemeinsamen – Strommarkts von Deutschland und Österreich besiegelt. Wird sie tatsächlich in dieser Form umgesetzt, hat das weitreichende Folgen: Eine solche Markttrennung wird hierzulande zu höheren Verbraucherpreisen führen und damit sowohl die privaten Haushalte als auch die österreichische Industrie belasten. Darüber sind sich alle Experten einig. Sie rechnen mit einem empfindlichen Anstieg des Strompreises von bis zu zehn Prozent.

Fragt sich nur, wie die europäische Energieagentur eine Entscheidung wie diese treffen kann. Nach EU-Recht ist nämlich ein einheitlicher Strommarkt ohne nationale Grenzen anzustreben. Nationale getrennte Märkte sollen einem einheitlichen europäischen Energiemarkt weichen, auf dem Wettbewerb möglich ist und sich alle Marktteilnehmer frei bewegen können.

Österreich profitierte

Österreich und Deutschland galten bisher EU-weit als Musterbeispiel dafür, wie es gelingen kann, die Grenzen nationaler Strommärkte aufzubrechen. Schon 2002 haben sich die beiden Länder für einen gemeinsamen Strommarkt und damit für einen einheitlichen Strompreis entschieden. Für Österreich erwies sich dieser Schritt als großer Vorteil. In Norddeutschland wird aufgrund der Energiewende sehr viel Ökostrom produziert, insbesondere von Windparks. Bei starkem Wind im Norden entsteht ein Produktionsüberschuss, der zu sinkenden Strompreisen auf dem einheitlichen Strommarkt Österreich/Deutschland führt. In diesen Zeiten des „Billigstroms“ wird naturgemäß von den energieintensiven Betrieben Strom zugekauft, und zwar nicht nur in Norddeutschland, sondern auch im Süden des Landes, in Österreich und seinen südlichen Nachbarländern. Die große Nachfrage im Süden führt allerdings zu einer Art Sogwirkung vom Norden in Richtung Süden.

Sehr zum Ärger von Polen und Tschechien, die ungewollt zu den Leittragenden wurden. Das Problem ist nämlich, dass die Stromnetze in Deutschland nicht genug Kapazitäten haben, um die großen Mengen an Strom vom Norden in den Süden zu transportieren. Aufgrund dieses Engpasses sucht sich der (Überschuss-)Strom – schon rein physikalisch – alternative Transportwege, nämlich vom Norden Deutschlands nach Polen und von dort über Tschechien nach Österreich. Und diese ungewolltenStromflüsse belasten die Stromnetze in Polen und Tschechien enorm. Es bestand und besteht dort immer wieder die Gefahr eines Netzzusammenbruchs. Die beiden Länder setzten sich deshalb seit Langem vehement für eine Beendigung des einheitlichen Strommarkts von Deutschland und Österreich ein. Ihr Argument: Eine Marktgrenze würde garantieren, dass die Leitungskapazitäten beschränkt und damit die Preise steigen würden. Die Nachfrage würde sinken, der Transportdruck verringert und die Blackout-Gefahr gebannt.

Tschechen und Polen setzen sich durch

Ihr Lobbying hatte Erfolg. Schon im September 2015 veröffentlichte Acer eine Stellungnahme, in der sie sich für eine Trennung der deutsch-österreichischen Strompreiszone aussprach. Diesem Statement war eine Abstimmung unter allen EU-Staaten vorausgegangen, die für Österreich denkbar schlecht ausfiel. Alle Länder – bis auf Österreich – hatten sich für diese Variante ausgesprochen, sogar Deutschland. Der österreichische Regulator E-Control bekämpfte die vorgeschlagene Trennung und erzielte einen Teilerfolg: Unbestritten ist mittlerweile, dass die Acer-Stellungnahme rechtlich nicht verbindlich ist.

Nichtsdestoweniger hatte die Stellungnahme Strahlkraft, wie sich jetzt zeigt. In den nächsten Tagen fällt Acer eine Entscheidung, bei der es eigentlich um etwas ganz anders, nämlich die Definition der Netzkapazitätsberechnungsregionen geht. Die Energiebehörde will aber nun offenbar den anstehenden Beschluss dazu nutzen, um auch gleich die Stromgrenze zwischen Österreich und Deutschland zu besiegeln. Das geht aus einem Entscheidungsentwurf der Acer hervor, den sie zur Konsultation versandt hat.

„Tun alles, um entgegenzuwirken“

Wenn die Acer nun die Weichen in die für Österreich sehr unerfreuliche Richtung stellt, „wird die E-Control handeln: Erstens werden wir die Entscheidung anfechten, zweitens setzen wir darauf, die Angelegenheit in Gesprächen, unter anderem mit der deutschen Regulierungsbehörde, zu bereinigen. Denn die Lösung sehen wir in der Erweiterung der Netzkapazitäten“, sagt E-Control-Chef, Wolfgang Urbantschitsch zur „Presse“. Dass es ihm gelingt, das Ruder herumzureißen, ist allerdings aus heutiger Sicht unrealistisch. Urbantschitsch: „Sollte es tatsächlich zu der ungewollten Handelsbeschränkung kommen, würden die Strompreise nicht von heute auf morgen in die Höhe schnellen: Die Umsetzung würde eine Zeit in Anspruch nehmen.“

Rechtliche Schritte werden wohl auch andere Unternehmen, nämlich der österreichische Netzbetreiber APG und die heimische Industrie, gegen die Acer-Entscheidung setzen, und zwar mit guten Erfolgschancen. Es sei inakzeptabel, dass sich eine europäische Regulierungsbehörde über europäische Rechtsvorschriften hinwegsetze, und zwar zulasten aller österreichischer Energieverbraucher, sagt der Energierechtsexperte und Rechtsanwalt Bernd Rajal. Eine Trennung des gemeinsamen Strommarkts mit Deutschland sei nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig. „Die Energieverbraucher haben jedenfalls die Möglichkeit, sich mit geeigneten Rechtsmitteln zur Wehr zu setzen“, so Rajal.

Immer mehr Strom aus Windkraft

Übrigens: Windkraft, die in Deutschland für die hohen Überkapazitäten sorgt, könnte schon 2030 weltweit ein Fünftel des Strombedarfs decken. Das geht aus der aktuellen Windkraftprognose des Branchenverbands Global Wind Energy Council hervor. In der EU sind rund 142 Gigawatt Windkraftkapazitäten installiert. Davon entfallen allein auf Deutschland 45 GW, auf Österreich allerdings nur 2,4 GW.

AUF EINEN BLICK

Strommarkt. Die EU- Energieagentur Acer wird in den nächsten Tagen im Zuge eines Beschlusses, der eigentlich ein anderes Thema betrifft, auch über die Aufhebung des gemeinsamen Strommarkts zwischen Österreich und Deutschlandentscheiden. Für Österreich würde eine Trennung eine empfindliche Erhöhung der Strompreise bedeuten. Experten rechnen mit einem Anstieg von bis zu zehn Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2016)

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