Die von den Zentralbanken eingegangenen Risken haben ein kritisches Maß erreicht, warnt die in Basel ansässige Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Ein Kurswechsel sei nötig.
Wien. Sie gilt als die Zentralbank der Zentralbanken: Die in Basel ansässige Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Einmal jährlich nimmt das Institut die Weltwirtschaft unter die Lupe und zeigt dabei etwaige Gefahren auf. Überraschend eindringlich warnt die BIZ in ihrem aktuellen Bericht vor einer zu expansiven Geldpolitik ihrer 60 Mitglieder.
„Es gibt ganz klare Limits dafür, was Zentralbanken tun können“, heißt es in dem auf der Homepage publizierten Jahresbericht. Und weiter: „Es ist entscheidend für die Gesundheit der Weltwirtschaft, die Teufelskreise aufzubrechen und den Druck auf die Zentralbanken zu reduzieren.“
Als „Teufelskreis“ bezeichnet die BIZ die Tatsache, dass die Notenbanken seit Beginn der Finanzkrise 2008, vor allem aber seit Ausbruch der europäischen Schuldenkrise 2010, „Zeit kaufen“, die zugrunde liegenden Probleme von der Politik aber nicht ausreichend angegangen werden. Das erhöhe lediglich die Risken in den Bilanzen der Notenbanken. Die Krise werde so aber keinesfalls gelöst, befindet das Schweizer Institut.
Es geht um 18 Billionen Dollar
Die kumulierte Bilanzsumme der 60 BIZ-Mitglieder – darunter finden sich alle wichtigen Zentralbanken – beläuft sich mit Stichtag Mai 2012 bereits auf rund 18 Billionen Dollar (14,3 Billionen Euro). Seit 2007 hat sich dieser Wert verdreifacht. Ein großer Teil der Vermögenswerte sind „faule“ Wertpapiere beziehungsweise Staatsanleihen. Das Problem: Erweisen sich diese Papiere als uneinbringlich, müssen in letzter Instanz – zumindest in der Eurozone – die Steuerzahler dafür geradestehen.
Das Ziel einer expansiven Geldpolitik ist es, im Fall einer Wirtschaftskrise ausreichend Liquidität zur Verfügung zu stellen. Damit wollen die Zentralbanken die Konjunktur ankurbeln. Die wichtigste Möglichkeit dafür, die seit Jahrzehnten immer wieder angewendet wird, ist die Senkung der Leitzinsen. Laut Lehrbuch macht das Kredite günstiger und regt so zu Investitionen an.
Allerdings haben die wichtigsten Notenbanken dieses Pulver längst verschossen. Die US-amerikanische Federal Reserve senkte die Leitzinsen auf den tiefstmöglichen Wert zwischen null und 0,25 Prozent. In der Eurozone liegt der Leitzins bei einem Prozent – der Tiefstwert seit der Einführung der Einheitswährung.
Um der Krise Herr zu werden, griffen die Notenbanker deshalb zu sogenannten „Non-Standard-Maßnahmen“. Am Beispiel der Fed heißt das: Aufkauf von Staatsanleihen und „faulen“ Hypotheken. Am Beispiel der EZB heißt das: Aufkauf von Staatsanleihen und das Fluten der Märkte mit billigen Geld. So stellte die EZB den Banken insgesamt eine Billion Euro zu besonders günstigen Konditionen zur Verfügung.
Laut BIZ ist nicht alles schlecht, was die Notenbanken seit 2008 gemacht haben. So verweist die oberste Zentralbank spezifisch darauf, dass eine große Depression – die durchaus möglich schien – vermieden werden konnte. Für die EZB war es durchaus sinnvoll, der Politik Zeit zu kaufen, um außer Kontrolle geratene Staatshaushalte wieder in Ordnung zu bringen.
EZB von allen Seiten unter Druck
Nun seien die Zentralbanken aber am Ende ihrer Kräfte, betont die BIZ sinngemäß. Neben dem Risiko für die Notenbanken selbst erhöhe die expansive Geldpolitik die Inflationsgefahr. Außerdem sei es „besonders wichtig, dass die Notenbanken ihre Glaubwürdigkeit bewahren“. Nur wenn außergewöhnliche Maßnahmen weiter außergewöhnlich bleiben und nicht zur Regel werden, würden Investoren dem Zentralbanksystem nach wie vor Glauben schenken.
Ob die Notenbanken – allen voran die EZB – die Ratschläge der BIZ befolgen werden, bleibt abzuwarten. Die USA, Spanien und Italien fordern die Frankfurter Zentralbank dazu auf, weiterhin in den Markt einzugreifen und Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen. Dagegen verwehrt hat sich bislang die Deutsche Bundesbank. Beobachter nennen sie deshalb längst den „letzten Fels in der Brandung“.
Auf einen Blick
60 Notenbanken, darunter die EZB und die Fed, sind Mitglied bei der Internationalen Bank für Zahlungsausgleich (BIZ). Das Schweizer Institut gilt deshalb als die „oberste Zentralbank“. Nun fordert es einen Kurswechsel. Die expansive Geldpolitik der Notenbanken sei sehr riskant geworden. Es gebe Limits dessen, was Zentralbanken tun sollen. Am Zug sei nun die Politik.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2012)