Euroretter zittern vor den roten Roben

(c) Dapd (Ronald Wittek)
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In Karlsruhe ist das Eilverfahren gegen ESM und Fiskalpakt angelaufen. In Brüssel und Berlin liegen die Nerven blank. Politiker machen offen Druck auf die Richter. Die Zitterpartie könnte noch länger dauern.

Berlin. Auch Juristen haben zuweilen eine poetische Ader. Andreas Voßkuhle will sein „Herz nicht über Hürden“ werfen, sondern „mit beiden Füßen auf dem Grundgesetz“ stehen. Das verkündete Deutschlands oberster Richter im Eilverfahren gegen ESM und Fiskalpakt. Schon mit diesen blumigen Worten zum Auftakt wurde klar: Bei einem so beherzten Richter ist die letzte Hürde für die neuen Säulen der Eurorettung weit mehr als eine juristische Formalität. Kein Wunder, dass die Nerven der Retter blankliegen.

In Berlin und Brüssel macht man Druck auf die Verfassungsrichter in Karlsruhe. Diese hatten – höchst ungewöhnlich für ein Eilverfahren – eine mündliche Verhandlung angesetzt. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte dort vor einem verzögerten Inkrafttreten, das „erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen“ bedeuten würde. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) fürchtet „heftige Folgen“, sollten der permanente Rettungsschirm und der Fiskalpakt scheitern. Allerdings hat der noble Moderator des deutschen Parlamentarismus „keinen Zweifel“, dass die Richter diese Zusammenhänge berücksichtigen. Ganz anders Martin Schulz (SPD): Für den EU-Parlamentspräsidenten sind die Karlsruher Urteile „von großer Unkenntnis geprägt“. Horst Seehofer stellt sich schützend vor die Richter: Der CSU-Chef hält es für „völlig unangemessen“, ja „unappetitlich“, „ein Gericht durch öffentliche Äußerungen unter Druck zu setzen“.

Gegen die Ende Juni im Bundestag beschlossenen Maßnahmen hat sich eine merkwürdige Allianz formiert. Ehrwürdige Staatsrechtler klagen Seite an Seite mit den Abgeordneten der Linkspartei und 20.000 Bürgern. In dem Eilverfahren sollte es eigentlich nur darum gehen, in zwei bis vier Wochen die Folgen von Veto oder Freigabe abzuwägen. Das Hauptverfahren kann sich bis ins nächste Jahr ziehen. Voßkuhle sprach sein Dilemma offen an: Zwingt der Zweite Senat Bundespräsident Gauck so lange, mit seiner Unterschrift zu warten, werden dicke Balkenlettern in aller Welt einen Stopp der Eurorettung verkünden – mit unabsehbaren Folgen. Dabei wären die faktischen Auswirkungen begrenzt: Der vorläufige Rettungsschirm EFSF läuft weiter und könnte bei Bedarf aufgestockt werden. Lassen aber die Richter das Gesetz rasch passieren, werden Fakten geschaffen: Deutschland ist dann völkerrechtlich verpflichtet und kann aus dem Vertrag selbst dann nicht mehr heraus, wenn er später als verfassungswidrig erkannt wird.

Allein die Möglichkeit, der Rechtsschutz der Kläger könnte schwerer wiegen als der Pragmatismus der Krise, treibt die Regierung zur Flucht nach vorn: Sie bittet das Gericht, schon im Eilverfahren die eigentliche Frage zu klären, nämlich, ob die Pläne mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Voßkuhle schlägt ein „Zwischenverfahren“ vor, das aber auch nicht in wenigen Wochen zu haben ist.

Beim Fiskalpakt wäre das kein Malheur, er muss erst Anfang 2013 in Kraft treten. Beim ESM aber wäre es blamabel: Er war schon für 1.Juli geplant – auf Drängen der Deutschen, die nun selbst alles aufhalten. Die Hürden liegen hoch, für die Herzen der Richter wie für die Rettung des Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2012)

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