IHS-Chef: "Rettungsschirm ist Europas einzige Chance"

(c) Die Presse (Eva Rauer)
  • Drucken

IHS-Chef Christian Keuschnigg erklärt, warum er die Protestnote deutscher Ökonomen gegen „ESM“ und Bankenunion nicht unterzeichnet hat. Und warum an Lohnkürzungen in den Krisenländern kein Weg vorbeiführt.

Die Presse: Sie wurden unlängst gefragt, wie lange die Krise noch dauern werde. Ihre Antwort war: „Es gibt auch ein Leben nach dem Euro“, was Sie als freudschen Versprecher klassifizierten, weil Sie Krise statt Euro meinten.

Christian Keuschnigg: Es war ja auch wirklich einer. Dabei gäbe es natürlich auch ein Leben nach dem Euro. Aber das ist nicht das Thema. Europa wird aus dieser Krise gestärkt hervorgehen.

Davon ist aber noch nicht wirklich viel zu sehen. In Brüssel jagt seit Monaten ein Krisengipfel den nächsten, dennoch beruhigt sich die Lage nicht. Bleibt die Frage: Wer holt uns da raus?

Das zentrale Problem ist die enorme Verschuldung des privaten Sektors und der öffentlichen Haushalte. Das ist zu korrigieren. In Zukunft müssen auch private Haushalte wieder über höhere Eigenmittel verfügen, falls sie eine Wohnung auf Kredit erwerben wollen. Sonst führt die nächste Rezession wieder zu einer großen Insolvenzwelle, welche die nächste Finanzkrise auslösen könnte. Und natürlich müssen die Staaten ihre hohen Schuldenstände zurückfahren.

Braucht es dafür auch eine gemeinsame Fiskalpolitik?

Nein, es ist aus meiner Sicht nicht denkbar, dass die Deutschen dieselbe Vorstellung von Steuern und Staatsausgaben haben wie die Bürger in Griechenland. Deshalb bin ich für eine dezentrale Finanzpolitik. Entscheidend ist, dass Leitplanken eingeschlagen werden, die sicherstellen, dass die Finanzpolitik eines Landes nicht zum Schaden eines anderen wird. Deshalb braucht es den Fiskalpakt, um die Defizite zu begrenzen.

In Deutschland stemmt sich eine Gruppe namhafter Ökonomen gegen die Vergemeinschaftung der Schulden und gegen die Bankenunion. Sie haben die Protestnote nicht unterschrieben. Warum nicht?

Weil ich mich ja immer wieder zu europäischen Fragen äußere; insofern ist dieser Aufruf für mich nicht das geeignete Instrument, um Aufmerksamkeit zu generieren.

Teilen Sie die Kritik Ihrer Kollegen inhaltlich?

Also ich bin schon der Meinung, dass es eine Bankenunion mit zentralisierter Aufsicht und gemeinsamer Einlagensicherung braucht. Das soll aber nicht darin münden, dass starke Banken dauerhaft die schwachen subventionieren. Deshalb müssen die Probleme der Banken in den südlichen Ländern gelöst werden, bevor sie Teil der Bankenunion werden. Eine weitere Voraussetzung ist ein Bankeninsolvenzrecht. Damit klargestellt wird, dass Banken geregelt abgewickelt werden und vom Markt genommen werden können, ohne die Kreditversorgung zu blockieren.

Der permanente Rettungsschirm ESM wird nach Ansicht der Kritiker aber zu einer Vergemeinschaftung der Schulden führen, gegen die ja auch Sie sind.

Der permanente Rettungsschirm ESM ist im Prinzip die einzige Chance, die Europa bleibt. Er funktioniert ähnlich wie der Internationale Währungsfonds: Es werden keine Geschenke verteilt, sondern Kredite vergeben. Zug um Zug gegen die Erfüllung harter Auflagen. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, dass das Geld zurückgezahlt wird. Denn der reine Ankauf von Staatsschulden ohne Auflagen ist das Schlimmste, damit wird kein einziges Problem gelöst.

Warum aber sollten Krisenländer überhaupt Reformen umsetzen, wenn sie das Geld sowieso aus dem „ESM“ überwiesen bekommen?

Weil die Staaten politisch souverän und nicht dauerhaft von ihren Geldgebern abhängig sein wollen. Deshalb ist eine nachhaltige Verringerung der Verschuldung unumgänglich, und damit auch Reformen. Andernfalls wird es in diesen Ländern kein Wachstum geben.

Nun hat Spaniens Premier Rajoy nach dem letzten Euro-Gipfel gejubelt, weil sein Land jetzt Zugang zu billigem Geld bekomme, ohne auch nur eine Auflage erfüllen zu müssen.

Das ist bedauerlich. Das Prinzip „Kredit gegen Reform“ muss durchgehalten werden, vor allem von der Europäischen Union, sie darf sich nicht erpressen lassen. Der Sinn und Zweck des ESM ist ausschließlich die Gewährung von Krediten gegen die Erfüllung von Auflagen. Nur so sind die Ursachen zu korrigieren, die zur gegenwärtigen Schuldenkrise geführt haben.

Die wären?

Die zentrale Ursache ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in den Krisenländern. Damit konnte die Wirtschaft in diesen Ländern mit ihren Waren und Dienstleistungen nicht mehr wachsen.

Wie wäre denn die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen?

Kurzfristig geht das nur über Lohnverzicht in den betroffenen Ländern. Der bevorzugte Weg wäre natürlich, über Innovationen, Privatisierungen und Rationalisierungen die Produktivität der Wirtschaft zu erhöhen. Das braucht aber Zeit, die niemand hat. Manche Länder sind ja auch auf einem guten Weg. Irland beispielsweise, auch in Portugal ist ein Anfang gemacht. Es ist auch nicht so, dass in Spanien und Griechenland nichts passiert wäre. Die Lohnstückkosten sind in den südlichen Ländern schon deutlich gesunken. Es wurde also Lohnverzicht geleistet.

Nachdem die Löhne in zehn Jahren fast verdoppelt wurden, wie im griechischen Staatsdienst.

Länder wie Griechenland haben sich über Jahre hinweg mit überhöhten Lohnabschlüssen in gewisser Weise reichgerechnet. Das billige Geld löste in den südlichen Ländern einen illusionären Boom aus, der zu Lohnsteigerungen führte, die entkoppelt von der tatsächlichen Produktivität waren. Und das ist jetzt zu korrigieren, so schmerzhaft das ist. Das heißt nämlich, dass die betroffenen Länder dadurch ärmer werden. Aber die Korrektur übermäßiger Lohnsteigerungen in der Vergangenheit ist Voraussetzung dafür, dass es in Zukunft wieder Wachstum geben kann.

Kollegen von Ihnen meinen, sinkende Löhne würden die Sache weiter verschlimmern, zudem seien sie politisch nicht durchsetzbar.

Die Länder im Norden haben es ja vorexerziert. Sie haben sich über moderate Lohnsteigerungen enthalten (Lohnverzicht geübt, Anm.); deshalb gibt es dort auch keine Probleme. Da die Löhne im Einklang mit der Produktivität gestiegen sind. Etwa in Österreich über den Einsatz der „Benya-Formel“ (Abgeltung der Inflationsrate und halbe Produktivitätssteigerung, Anm.). Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die Arbeitnehmer im Norden zuerst Lohnverzicht üben und dann höhere Steuern akzeptieren, um den südlichen Ländern aus der Misere zu helfen. Sie würden zweimal zahlen.

Zur Person

Christian Keuschnigg (*1959) ist seit Juni Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS). Seit April 2001 lehrt der gebürtige Tiroler an der Schweizer Hochschule St.Gallen Volkswirtschaftslehre und Öffentliche Finanzen. Den Lehrstuhl hat Keuschnigg behalten, seine Lehrtätigkeit aber stark reduziert. Er selbst sieht sich als Anhänger der sozialen Marktwirtschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2012)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.