Deutschland: Karlsruhe gibt grünes Licht für ESM

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Das Urteil ergeht mit dem Vorbehalt, dass eine Ratifizierung nur dann erfolgen darf, wenn der Bundestag bei Erhöhung der Haftungsgrenze mitsprechen darf.
Europas Börsen reagieren positiv.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat den Weg zum Start des Euro-Rettungsschirms ESM freigemacht - allerdings nur unter Vorbehalt: Die Haftungsgrenze Deutschlands von 190 Milliarden Euro dürfe nur mit Zustimmung des Bundestages geändert werden. Die Entscheidung wurde in Deutschland begrüßt. In Österreich wird nun eine Verfassungsklage gegen den ESM erwartet.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich erleichtert über das Urteil: "Das ist ein guter Tag für Deutschland, und das ist ein guter Tag für Europa", sagte sie bei einer Debatte im Bundestag in Berlin. In der Eurokrise sei die Glaubwürdigkeit der Eurozone erschüttert worden, sie müsse nun in einem schwierigen Prozess zurückgewonnen werden. Dazu müsse die gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion weiterentwickelt werden. Der Rettungsfonds sei nun binnen weniger Wochen einsatzbereit, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Auch in den anderen Parlamentsfraktionen zeigte man sich zufrieden. Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, die einer der Kläger gegen den ESM in Karlsruhe war, erklärte: "Da haben wir doch was geleistet für die Demokratie". Er begrüße, dass die Karlsruher Richter eine Haftungsbegrenzung eingefordert und die Rechte des Bundestages betont hätten.

Börsen reagieren mit steigenden Kursen

Europas Börsen zogen am Mittwoch deutlich an. Die Staatsanleihen der Krisenländer Italien, Spanien, Irland, Portugal und Griechenland reagierten mit steigenden Kursen und fallenden Renditen auf die Entscheidung. Die als sicher geltenden deutschen Staatsanleihen gerieten hingegen stark unter Druck: Der für den Staatsanleihemarkt wichtige Euro-Bund-Future fiel um 0,58 Prozent auf 139,56 Punkte. Auch die Anleihen anderer Kernländer wie Frankreich, Österreich, Niederlande gerieten unter Druck.

International gab es Applaus für das Urteil. "Ich glaube nicht, dass die im Urteil angezeigte Einschränkung eine unvorhergesehene Bremse im Prozess der Stabilisierung der Märkte bedeutet", sagte Italiens Regierungschef Mario Monti. Aus China hieß es: "Damit wurde ein großer Fortschritt erreicht", wie der renommierte Ökonom Li Dakui erklärte. Jeder Schritt europäischer Institutionen, insbesondere der Europäischen Zentralbank EZB, zur Stützung des Euro sei von Nutzen, sagte der slowakische Premier Robert Fico.

Ab 8. Oktober in Kraft

Der Rettungsfonds ESM soll am 8. Oktober in Kraft gesetzt werden. Dann soll auch das erste Treffen des Gouverneursrates der neuen Institution einberufen werden, kündigte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker an. Zuvor muss der deutsche Präsident Joachim Gauck den Vertrag erst durch seine Unterschrift ratifizieren. Gauck werde sobald als möglich unterzeichnen, teilte das Präsidialamt mit.

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts müssen sich womöglich Bundestag und Bundesrat in Berlin nochmals mit den Vorgaben aus Karlsruhe befassen. In Gerichtskreisen in Karlsruhe hieß es am Mittwoch, diese Bedingungen könnten in einem Zusatzprotokoll zum ESM-Vertrag geregelt werden. Dem sollten alle anderen Vertragsstaaten zustimmen. Rechtsgrundlage dafür könnte Artikel 20 der Wiener Vertragsrechtskonvention sein.

Faymann: "Wichtiger Schritt für Stabilität"

Die österreichische Regierung begrüßte das Urteil aus Karlsruhe. Es handle sich um "einen wichtigen Schritt für die Stabilität des Euro und wesentlich für die Zukunft Europas", teilte Bundeskanzler Werner Faymann mit. Außenminister Michael Spindelegger erklärte, nun sei das "endgültige Startsignal für den Euro-Rettungsschirm" gegeben worden. Mit dem ESM signalisierten die Regierungen den "unbändigen Willen", die Eurozone zusammenzuhalten und solidarisch zu handeln, sagte Finanzministerin Maria Fekter der APA.

Die Regierungsspitze erklärte, die Haftungsgrenze Österreichs sei mit 19 Milliarden Euro gedeckelt. Für eine Anteilsänderung muss sich das Finanzministerium eine Ermächtigung im ESM-Unterausschuss des Nationalrats holen. Wird der Vertrag daraufhin geändert, müssen alle Abgeordneten des Nationalrats darüber abstimmen. Für die Annahme reiche die einfache Mehrheit, so das Bundeskanzleramt.

Kärnten kündigt Verfassungsklage an

Die Kärntner Landesregierung kündigte am Mittwoch eine Verfassungsklage gegen den ESM und den Fiskalpakt an. Dafür reicht eine einfache Mehrheit in dem von den Kärntner Freiheitlichen (FPK) dominierten Gremium aus. Der Kampf gegen den ESM sei notwendig, denn "wir geben jetzt das Geld aus, das morgen den Menschen fehlen wird", sagte FPK-Landeshauptmann Gerhard Dörfler der APA.

Wann die Klage eingebracht wird, stand zunächst nicht fest. Verfassungsjuristen sehen die Klage nicht als allzu aussichtsreich an. Der Rechtswissenschafter Theo Öhlinger verwies darauf, dass die Verfassung heuer eigens geändert worden sei, um die Mitwirkung des Parlaments am ESM festzuschreiben. Damit seien möglich Einwände bereits angesprochen worden. Sollte der VfGH eine Verfassungswidrigkeit erkennen, müssten die Richter erklären, dass der völkerrechtlich gültige Vertrag innerstaatlich nicht anwendbar ist - eine "schwierige, fast untragbare Situation", sagte der Jurist Heinz Mayer.

(APA/dpa/Reuters/AFP)

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