Stark: "EZB bewegt sich außerhalb ihres Mandats"

Stark bewegt sich ausserhalb
Stark bewegt sich ausserhalb(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Aus Sicht des früheren EZB-Chefvolkswirts Stark hat die EZB dem Druck von außen nachgegeben. Im "Presse"-Interview ortet er hohes Inflationspotenzial und hält die europäische Debatte über Sparprogramme für eine semantische Irreführung.

Die Presse: Sie haben vor knapp einem Jahr Ihren Rücktritt aus der EZB-Führung auch damit begründet, die Regierungen im Euroraum wachrütteln zu wollen. Mit diesem Vorhaben dürften Sie gescheitert sein, oder?

Jürgen Stark: Also ich will meine Person nicht überschätzen. Das Signal, das ich mit meinem Rücktritt an die Europäische Zentralbank und die Politik geben wollte, war: Ihr seid auf dem falschen Weg! Innerhalb weniger Stunden wurde eine wichtige Geschäftsgrundlage der Wirtschafts- und Währungsunion einfach auf die Seite geschoben: Die No-Bail-Out-Klausel (die Verpflichtung der Euroländer, keinen Partnerstaat rauszuboxen, Anm.). Jetzt kann man darüber diskutieren, ob Kredite an ein anderes Euroland ein Bail-Out sind. De jure wohl nicht, aber de facto kann es dazu kommen.

Wann wäre das der Fall?

Im Falle eines zweiten Schuldenschnitts in Griechenland. Von dem wäre dann auch die öffentliche Hand betroffen – und dann haben wir den Transfer. Das wäre ein Bail-Out, ohne jeden Zweifel.

Ihr Rücktritt hat an der Geldpolitik nicht viel geändert. Im Gegenteil: Anfang September hat die EZB bekannt gegeben, unbegrenzt Anleihen europäischer Krisenstaaten aufzukaufen. Hat sie überhaupt ein Mandat dafür?

Auffällig ist, dass sowohl Zentralbanker als auch Politiker erklären, dass das, was die EZB jetzt beabsichtigt zu tun, im Rahmen ihres Mandats ist. Sie bleiben aber die Rechtfertigung schuldig, warum das so ist. Es wäre auch sehr schwer zu erklären. Nach meinem Urteil bewegt sich die EZB mit der Entscheidung von Anfang dieses Monats (künftig unbeschränkt Staatsanleihen europäischer Krisenstaaten aufzukaufen, Anm.) außerhalb ihres Mandats.

Und warum passiert es trotzdem?

Die Zentralbank ist enorm unter Druck. Und da spielt das Mandat keine Rolle, denn der Politik ist das Hemd näher als der Rock. Man schiebt die Verantwortung an die Zentralbank und sagt: „Die können das machen, die können Geld drucken“. Dass dadurch die realwirtschaftlichen Probleme nicht gelöst werden, ist klar. Im Gegenteil: Mit dem weltweiten Fluten der Märkte werden Bedingungen geschaffen, die dazu führen können, dass neue Übertreibungen entstehen.

Sie meinen neue Spekulationsblasen durch das viele billige Geld?

Schauen Sie, was die Ankündigungen von Mario Draghi und Ben Bernanke bewirkt haben (unbeschränkter Ankauf von Staatsschulden bzw. Anleihenkäufe durch die Fed, Anm.): Die Aktienkurse sind weltweit um acht Prozent gestiegen. Ist das gerechtfertigt durch die weltwirtschaftlichen Fundamentaldaten?

Kann die EZB denn je wieder auf den „richtigen Weg“ zurückkehren?

Gemeinsam mit anderen Zentralbanken flutet die EZB heute die Märkte, sodass nicht nur die Frage ist, wie die EZB das Geld wieder zurücknehmen kann. Sondern wie wir die vorhandene Überschussliquidität global wieder absorbieren können. Das geht nicht auf Knopfdruck. Wenn es zu einer Stabilisierung der Weltwirtschaft kommt, ist das Potenzial für Inflation enorm gewachsen.

Viele Ökonomen fürchten aber eine Deflation.

Vor allem jene, die den Druck auf die EZB erhöhen wollen, damit diese die Märkte weiter mit billigen Geld flutet. Die Zentralbanken sind in unserer fragilen „Fiat money“-Geldordnung (Papiergeldsystem, Anm.) aber der einzige Anker für Preisstabilität. Die EZB erklärt per Dekret: dies ist Geld. Die Glaubwürdigkeit dieses Geldes hängt von einer Institution ab: der Zentralbank. Deshalb darf sie nicht weiter überfordert werden.

Auch die EZB behauptet, dass Inflationsängste völlig unbegründet sind.

Die EZB sagt ja auch, dass der Ankauf von Staatsanleihen wieder „sterilisiert“ werden könne. Also, dass das frische Geld dem Markt an einer anderen Stelle entzogen wird. Ob das gelingt, ist eine andere Frage. Ich kann nicht einfach an den Markt gehen und sagen, nächsten Dienstag wollen wir 80 Milliarden Euro aus dem Markt ziehen. Da müssen auch die Marktteilnehmer mitspielen. Wenn sie aber die Liquidität lieber horten, bleibt sie bei den Banken.

Solange das Geld zwischen Banken und EZB zirkuliert, gibt es ja nicht wirklich ein Problem.

Richtig, dann geht die Liquidität nicht in den Wirtschaftskreislauf. Inflation kann sich aber auch über veränderte Inflationserwartungen entwickeln. Die Frage ist also, was erwartet die Öffentlichkeit?

Einer aktuellen Umfrage zufolge fürchtet sich die Bevölkerung in Österreich am meisten vor steigenden Lebenshaltungskosten.

Das ist die Unsicherheit, die eng mit der Frage nach dem Vertrauen in die Zentralbanken verknüpft ist. Mario Draghi hat gesagt, alles zu tun, um den Euro zu retten. Aber es geht hier doch gar nicht um die Rettung des Euro. Wir haben es mit Problemen einzelner Länder zu tun. Und sollte ein Land ausscheiden, ist das nicht das Ende des Euro.

War den Entscheidungsträgern bei der Euro-Einführung denn nicht klar, dass einige Mitgliedsländer auch in Staatsbankrott gehen könnten?

Doch, aber es gab die implizite Annahme, dass dies nicht geschehen wird. Weil man nur Länder in die Währungsunion aufnehmen wollte, die sich dafür qualifiziert haben. Mit einer verantwortungsvollen Politik, die nachgewiesen hat, dass das jeweilige Land nicht in finanzielle Schwierigkeiten kommen wird. Aber wir sind – ich kann das ja sagen – mit zu vielen Ländern in diese Währungsunion gegangen.

War man zu naiv, oder hat man von den Mitgliedern zu viel gefordert?

Die europäischen Finanzminister trafen sich am 31. Dezember 1998, um den Start des Euro zu feiern. Am 1. Jänner 1999 gingen sie nach Hause und führten dieselbe Politik weiter, als hätte sich nichts geändert. Es hatte sich aber etwas geändert: Es gab plötzlich eine Institution in Frankfurt, die sich um die Währung kümmerte. Und damit war klar, dass schlechte Haushaltspolitik nicht mehr über die Abwertung der nationalen Währung zu korrigieren ist.

Wird die Währungsunion an diesem Missverständnis zerbrechen?

Also diese Panik, dass die Währungsunion zerbrechen könnte, ist absoluter Unsinn. Die Regierungen haben erkannt, dass ihnen die Wiederherstellung der Haushaltsdisziplin niemand abnehmen kann. Die Märkte achten viel stärker darauf, ob Staaten in fünf Jahren ihre Schulden noch bedienen können. Für Länder, die unsolide wirtschaften, wird es dementsprechend teurer. Zur Konsolidierung gibt es also keine Alternative. Und der Weg führt nur über strukturelle Reformen. Das ist schmerzhaft, muss aber sein.

Genau das wird von zahlreichen Politikern und Ökonomen bezweifelt. Sie sagen, mit dem Sparen werde das schwache Wachstum ganz abgewürgt.

Aber es wird doch nirgendwo gespart! Das ist eine semantische Irreführung. Die Nettoneuverschuldung steigt. Schwächer als vorher, aber sie steigt.

Ist die Währungsunion in ihrer angedachten Form bereits gescheitert?

Es kommt aber drauf an, was Sie darunter verstehen. In ihrer ursprünglichen Form ist die Währungsunion nie umgesetzt worden. Ist ein Konzept gescheitert, wenn es nie umgesetzt wird? Sind die Maastricht-Kriterien gescheitert, wenn sie nie eingehalten werden?

Man könnte das Scheitern auch daran festmachen, dass die Bevölkerung nicht jenen Euro bekommen hat, den man ihr versprochen hat.

Also Entschuldigung: Der Euro, den man der Bevölkerung versprochen hat, ist doch erreicht worden. Eine Inflationsrate in den ersten zehn Jahren mit etwa zwei Prozent, das kann sich doch sehen lassen. Und das waren nicht nur Schönwetterperioden. Zudem sind alle Schocks gut aufgefangen worden.

Aber?

Aber ich mache eine Zäsur im Jahr 2010: Bis dahin ist alles gut gelaufen. Dann hat die EZB begonnen, sich in eine neue Rolle zu begeben – in Panik zu verfallen. Sie hat dem Druck von außen nachgegeben. Insbesondere jenen, die gesagt haben: „Ihr Europäer, ihr müsst über dieses zweite Maiwochenende 2010 eine Entscheidung treffen und viel Geld in die Hand nehmen“ (um Griechenland mit „einmaligen“ Finanzhilfen vor der Pleite zu retten, Anm.). Und das hat jetzt Schule gemacht.

Mit „Druck von außen“ meinen Sie jenen aus den USA?

Ich meine den Druck von außerhalb Europas.

Großer Druck wird mittlerweile ja auch innerhalb der EZB ausgeübt. Dort fallen die Beschlüsse neuerdings immer geschlossen gegen Deutschland.

Ich glaube, man darf die Argumente, die von Jens Weidmann (Präsident der Deutschen Bundesbank, Anm.) vorgebracht werden, nicht lächerlich machen. Die Art und Weise, wie seine Position von der Führung der EZB in der Öffentlichkeit kommentiert wurde, hat die Grenze der Fairness überschritten. Hier läuft die EZB Gefahr, wichtige Teile der europäischen Öffentlichkeit nicht Ernst zu nehmen.

Wie lange kann sich denn Deutschland seinen Widerstand noch leisten?

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Textziffer gesagt, dass der Ankauf von Staatspapieren gegen das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank verstößt. Das bringt die Deutsche Bundesbank in einen Konflikt. Das ist eine sehr diffizile Situation.

Wieso? Im Brechen von Recht hat man inzwischen doch eine gewisse Routine entwickelt.

Das wird von vielen Europarechtlern zwar bestritten, aber es gibt eine andere Gruppe von Verfassungsjuristen, die von einem fortgesetzten kollektiven Rechtsbruch sprechen. Und das würde ich als Nichtjurist auch so sehen: Es gibt einen fortgesetzten kollektiven Rechtsbruch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2012)

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