Ökonom: „Weil die Banken eben wichtig sind“

(c) Goldman Sachs
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Ökonom Dirk Schumacher hat nur eingeschränktes Vertrauen in den Markt, ärgert sich über Vorurteile gegen Goldman Sachs und erwartet einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland.

Herr Schumacher, ist es Ihnen manchmal unangenehm, für Goldman Sachs zu arbeiten?

Dirk Schumacher: Sicherlich nicht.

Werden Sie denn von Bekannten darauf angesprochen?

Das schon, und nicht zu knapp. Man muss viel Erklärungsarbeit leisten. Die Anzahl der Halbwahrheiten und Falschdarstellungen, die über Goldman Sachs verbreitet werden, ist enorm.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Dokumentation über Goldman, die letztens auf Arte lief („Goldman Sachs – Eine Bank lenkt die Welt“, Anm.). Dort wurde behauptet, wir seien die größte Bank der Welt. Nach welchem Kriterium? Weder nach Bilanzgröße noch sonst irgendetwas stimmt das.

Es wurde auch kritisiert, dass mit Mario Draghi ein ehemaliger Goldman-Mitarbeiter Chef der Europäischen Zentralbank wurde.

Die Vorstellung, dass Mario Draghi irgendeine Entscheidung anders trifft, weil er die Auswirkung auf Goldman im Hinterkopf hat, ist absurd. Natürlich denkt er über die Auswirkung auf den Bankensektor nach, aber nicht, weil er diesem etwas Ggutes tun will, sondern, weil die Banken eben wichtig sind.

Sie haben bereits Anfang vergangenen Jahres gesagt, die EZB sollte Staatsanleihen kaufen. Mittlerweile hat sie angekündigt, genau dies verstärkt zu tun. Ist die Welt jetzt gerettet?

Es kann immer noch viel schiefgehen. Die EZB hat vor allem Zeit gekauft, was sehr wichtig ist. Der Markt war nicht mehr bereit, Spanien und Italien die Zeit zur Umsetzung wichtiger Reformen zu gewähren. Ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt. Deutschland und Frankreich hätten den Ländern die Zeit nicht geben können – auch deren Finanzkraft hat ihre Grenzen.

Aber die Situation ist schon ziemlich verworren, finden Sie nicht? Die EZB sollte doch gar nicht in der Position sein, Ländern irgendwelche Tipps zu geben oder ihnen Vorschriften zu machen.

Ja, in einer perfekten Welt wäre das voneinander getrennt. Aber wenn man den Euro behalten will, muss die EZB einspringen. Wir haben kein System geschaffen, das mit einem „Run“ auf Länder umgehen kann. Auch in einer Währungsunion braucht es eben einen „lender of last resort“, sowohl für Banken als auch für Staaten.

Sollte der Euro den Staaten nicht genau diesen Zugriff auf die Notenpresse nehmen?

Das war so vorgesehen, um die Länder zum ordentlichen Haushalten zu zwingen. Wenn sie das nicht tun, muss man aber neu kalibrieren und sich eine Reaktion auf die gegebenen Umstände überlegen. Wenn sich die EZB darauf konzentriert hätte, die Zinsen zu senken, und sonst nichts getan hätte, würde es den Euro nicht mehr geben. Ihre Aufgabe ist es, die Stabilität der Währung zu garantieren. Dazu gehört auch, dass es die Währung überhaupt gibt.

Ihr Doktorvater, Axel Weber, ist als Chef der Deutschen Bundesbank zurückgetreten, weil er die Anleihekäufe der EZB nicht unterstützt. Was wäre, wenn wirklich die Bundesbank das Sagen in der EZB hätte?

Das Argument der Bundesbank ist: Wir sind zu früh eingeknickt, sieben Prozent Zinsen bringen niemanden um. Implizit heißt das aber, irgendwann müsste man schon helfen. Das andere Argument ist der Glaube an den Markt: Laut Bundesbank müsste es dieser honorieren, wenn Italien und Spanien die richtigen Schritte setzen. Da würde ich sagen, das stimmt nicht. Ab einem bestimmten Punkt schaut der Markt nicht mehr auf die Fundamentaldaten. Jeder denkt sich: Ich will nicht der Letzte sein, der die Anleihe verkauft.

Haben wir den Höhepunkt der Finanz- und Schuldenkrise schon erreicht? Oder kann es sein, dass wir eines Morgens aufwachen und etwas noch Größeres als Lehman Brothers geht den Bach herunter?

Ausschließen würde ich nichts. Die Zentralbanken haben aber aus Lehman gelernt, dass sie auch zu unkonventionellen Maßnahmen greifen müssen. Das schafft etwas Stabilität. Es kommt aber auch darauf an, was politisch passiert. Wenn in Italien eine Bewegung gewählt wird, die aus dem Euro rauswill, kann es gut sein, dass das System noch einmal massiv getestet wird.

War es ein Fehler, Lehman pleitegehen zu lassen?

Im Nachhinein ja.

Aber können die Staaten bis in alle Ewigkeit systemrelevante Banken retten?

Banken sind inhärent instabil, deswegen muss die EZB manchmal aushelfen. Entscheidend ist, ob es sich um ein Liquiditäts- oder ein Solvenzproblem handelt. Wer versucht, ein Solvenzproblem mit der Zentralbank zu lösen, schafft Inflation. Hat Griechenland ein Solvenzproblem? Wahrscheinlich schon. Italien und Spanien? Wahrscheinlich nicht. Die Banken muss man sich einzeln anschauen.

Stichwort Griechenland. Rechnen Sie mit einem zweiten Schuldenschnitt?

Sehr wahrscheinlich, ja. Sonst brauchte es entweder ein Wachstumswunder oder eine Menge Transferleistungen vom Rest der Währungsunion.

Das hieße, dass vor allem die öffentlichen Geldgeber auf ihr Geld verzichten müssen. Geht das überhaupt vor der deutschen Bundestagswahl im nächsten Herbst?

Berlin würde es sicher gern hinter die Wahl verschieben, die Frage ist, ob das geht. Griechenland wird in den nächsten zwei Jahren zwischen 15 und 20 Mrd. Euro brauchen, die müssen irgendwo herkommen.

Hätte Griechenland überhaupt in den Euro aufgenommen werden dürfen?

Sie haben die Kriterien nicht erfüllt, das wissen wir heute.

Goldman Sachs hat es schon immer gewusst, immerhin hat die Bank Griechenland geholfen, die Budgetzahlen zu schönen.

Die Deals, die Sie ansprechen, wurden gemacht, als schon entschieden war, dass Griechenland in den Euro kommt. Das ist auch eine der Falschdarstellungen, die ich eingangs angesprochen habe.

Was wäre denn, wenn Griechenland niemals aufgenommen worden wäre? Gäbe es dann überhaupt eine europäische Schuldenkrise?

Ja. Was die Krise am Ende des Tages so groß macht, ist das Ungleichgewicht zwischen den Ländern. Das gäbe es auch ohne Griechenland.

Wann wird Spanien unter den Rettungsschirm schlüpfen?

Wir sind in der perversen Situation, dass genau das schwierig geworden ist, weil die Zinsen gesunken sind. Die spanische Regierung wird nur schwer begründen können, EZB-Hilfen in Anspruch zu nehmen und sich Auflagen auszusetzen, solange die Zinsen nicht im roten Bereich sind. Das heißt: Solange die Zinsen nicht wieder steigen, wird es nicht passieren.

Ist es überhaupt gesagt, dass die Zinsen wieder steigen? Wenn die EZB sagt, sie sei zur Not zur Stelle, braucht sich doch kein Investor mehr zu fürchten.

Richtig, das gilt aber nur, wenn Spanien auch wirklich einen Hilfsantrag stellt. Manche sagen zwar, dass die EZB in jedem Fall Anleihen kaufen wird, wir glauben aber schon, dass sie streng sein kann. Schließlich hat sie schon einmal eine Regierung aus dem Amt gekegelt, und zwar die italienische.

Die EZB entscheidet, wer ein Land regiert?

Nein, die Regierungen haben es ja selber in der Hand, ob sie das Programm erfüllen oder nicht. Davon abgesehen passiert das Ganze ja nur, weil es die Regierungen so wollen. Wenn Berlin das Gefühl hätte, die EZB dürfe nicht helfen, würde es auch nicht passieren.

Blicken wir etwas weiter in die Zukunft. Was wird von der europäischen Schuldenkrise hängen bleiben? Wird Europa gestärkt daraus hervorgehen?

Wenn es den Euro weiterhin geben wird, ist damit gesagt, dass es ein besserer und stabilerer Euro ist. Relativ zu anderen Regionen der Welt wird die Bedeutung Europas trotzdem abnehmen, da führt kein Weg dran vorbei. Nicht nur die Schwellenländer, auch die USA haben bessere Wachstumsaussichten. Allein schon wegen der wachsenden Bevölkerung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2012)


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