Der Niederländer Jeroen Dijsselbloem tritt als neuer Vorsitzender der Euro-Finanzminister in die übergroßen Fußstapfen von Jean-Claude Juncker. Seine Prioritäten sind Wachstum und die Vertiefung der Währungsunion.
Brüssel. Jeroen Dijsselbloem blickt ernst und konzentriert. Es scheint, als würde ihm die ganze Dimension seines neuen Amtes erst in diesem Augenblick bewusst werden. Der in Wirtschafts- und Europafragen noch unerfahrene niederländische Finanzminister wurde gestern in Brüssel zum neuen Euro-Gruppen-Chef und Nachfolger des amtsmüden luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker ernannt. Allerdings erhielt der Niederländer nicht die ungeteilte Unterstützung, da Spanien nicht für Dijsselbloem stimmte.
Warum die Wahl auf den 46-jährigen fiel, ist schnell erklärt: Er war der kleinste gemeinsame Nenner in einer zähen, sich über Monate ziehenden Debatte um divergierende Interessen der 17Euroländer, in der zunächst die beiden größten Staaten Deutschland und Frankreich den Posten jeweils für sich beansprucht hatten. Besonders Berlin pochte darauf, dass der neue Vorsitzende wieder aus einem Land mit Topbonität kommen solle. Um die kleineren Staaten nicht zu verärgern, einigte man sich schließlich auf Dijsselbloem. Mit ihm kann auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel leben, zählt er doch in seiner Partei der Arbeit (PvdA) zu den Verfechtern einer konsequenten Sparpolitik.
In einem sechsseitigen Brief an seine EU-Ministerkollegen legte Dijsselbloem noch vor seiner Ernennung gestern die geplanten Schwerpunkte seiner zweieinhalb Jahre dauernden Amtszeit dar: Erstens sollten die Euroländer nachhaltigem Wirtschaftswachstum und dem Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit einen höheren Stellenwert einräumen, fordert er. Zum Zweiten will Dijsselbloem die Bankenunion im Sinne eines tieferen Zusammenwachsens der Euroländer vorantreiben. Ob sich der neue „Mister Euro“ unter den 17 Euroländern tatsächlich durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Auf europäischer Bühne war der Niederländer bisher ein völlig unbeschriebenes Blatt. Erst vor elf Wochen wurde er in seinem Heimatland zum Finanzminister ernannt, zuvor war er in den Bereichen Landwirtschafts- sowie Jugend- und Bildungspolitik tätig.
Marionette der Großen?
Dass Dijsselbloem in seiner neuen Rolle nicht zur Marionette der großen Mitgliedstaaten wird, sondern, wie Juncker, in den wichtigen Fragen der Krisenlösung stets eine eigene, gewichtige Position einnimmt, muss der Niederländer erst beweisen. Besonders sein französischer Amtskollege Pierre Moscovici wird ihm dabei genau auf die Finger schauen. Er hat kürzlich in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Bedenken zur Ernennung Dijsselbloems geäußert.
Die Ernennung ist jedenfalls nicht einstimmig gefallen. Spaniens Finanzminister Luis de Guindos stimmte als einziger Vertreter nicht für den Niederländer. Dijsselbloem sagte, de Guindos habe ihm keine Gründe für die verweigerte Zustimmung genannt. Spanische Diplomaten begründeten die Entscheidung damit, dass die Regierung in Madrid zuletzt bei der Vergabe von finanzpolitischen Spitzenposten leer ausgegangen sei. Zudem habe Spanien gegen die Dominanz der als besonders kreditwürdig benoteten sogenannten AAA-Länder wie Deutschland und die Niederlande protestieren wollen.
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, die Entscheidung sei insgesamt "reibungslos über die Bühne gegangen". Deutschland stehe hinter dem 46-jährigen Niederländer: "Ich finde diese Entscheidung sehr gut."
Abschied von Juncker
Mit Junckers Abschied von der Spitze der Eurogruppe geht eine Ära zu Ende. Der luxemburgische Regierungschef hatte den Vorsitz über das wichtigste Gremium der Eurozone acht Jahre lang inne, in dieser Zeit wurden die Hilfspakete für Griechenland, Irland, Portugal und Spanien geschnürt und der ständige Euro-Rettungsfonds ESM aus der Taufe gehoben. Juncker will sich in Zukunft auf sein Amt als Regierungschef konzentrieren.
"Man wird mit einigem Abstand erst sehen, was dieser Mann für Europa und die Eurogruppe in diesen Jahren geleistet hat", würdigte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble die Arbeit Junckers, "und mit welchem großem und immer wieder unermüdlichem Engagement für Europa er sich eingesetzt hat, um gemeinsame Lösungen zustande zu bringen." Juncker habe die Eurogruppe mit "seinem Verstand und seinem Herzen" geleitet, sagte Dijsselbloem.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2013)