Der Bankensektor ist in Europa - verglichen mit den USA und Asien - viel zu groß. Mehrere Institute weisen höhere Bilanzsummen als das BIP ihrer Länder auf. Bei grober Schieflage droht da schnell der Staatsbankrott.
Die Finanzministerin sagt es, der Notenbankgouverneur sagt es, die Wirtschaftsforscher sagen es: Zypern ist ein Sonderfall, so etwas kann im Rest Europas nicht passieren. Wirklich? Was ist denn in Zypern passiert? Genau: Zwei Großbanken sind, weil sie sich mit griechischen Staatsanleihen verspekuliert hatten, in die De-facto-Pleite geschlittert. Und das hat auch den Staat, der an sich nicht so schlecht dastand (die Staatsschuldenquote entsprach ungefähr der österreichischen), in die Bankrottzone gerissen.
Das große Problem: Die Bilanzsumme der beiden Banken war ungefähr drei Mal so groß wie die Wirtschaftsleistung (BIP) des Gesamtstaates. Die beiden Banken waren also nicht nur „too big to fail“, sondern, für die Republik Zypern, auch „too big to bail“. Also mussten alle europäischen Steuerzahler einspringen.
So etwas kann leider überall in Europa passieren, wenn eine Großbank ins Schwimmen gerät. Denn der Bankensektor ist in Europa (in Relation zur restlichen Welt) weit überdimensioniert. In der Gesamt-EU macht die aggregierte Bankenbilanzsumme 370 Prozent des BIPs aus. Zum Vergleich: In Japan sind es etwas mehr als 100 Prozent, in den USA etwas weniger.
Großes Systemrisiko Schweiz
Das Problem ist aber nicht die Gesamt-Bilanzsumme (weil normalerweise ja nicht der gesamte Bankensektor zusammenkracht), sondern die Größe einzelner Institute. Nicht wenige Banken in Europa bringen nämlich allein Bilanzsummen auf die Waage, die das BIP des jeweiligen Landes übersteigen.
Das größte systemische Risiko findet sich übrigens im Nicht-EU-Land Schweiz: Die Bilanzsumme der beiden größten Banken des Landes, UBS und Credit Suisse, ist seit dem Beginn der Finanzkrise zwar schon dramatisch zurückgefahren worden, macht aber immer noch mehr als das Vierfache der eidgenössischen Wirtschaftsleistung aus. Ein Zusammenbruch einer der beiden Banken würde die Schweiz mit ziemlicher Sicherheit in größte Staatsbankrottgefahr bringen. Das erklärt auch, mit welcher Verve 2008 die damals ins Schlingern geratene UBS vom Schweizerischen Staat gerettet wurde.
Aber auch in der EU lauern einige Risken: Die französische BNP Paribas oder die spanische Banco Santander etwa weisen Bilanzsummen in ungefähr der Höhe des jeweiligen BIPs aus. Aber auch die Deutsche Bank, deren Bilanzsumme rund drei Viertel des deutschen BIPs erreicht, wäre im Ernstfall nicht leicht aufzufangen. In Österreich bringen es die beiden Großbanken Erste Group und RBI zusammen „nur“ auf etwas mehr als 100 Prozent des BIPs. Die Bank Austria (ungefähr zwei Drittel des BIPs) hat italienische Eigentümer und wäre im Falle des Falles theoretisch ein Problem der UniCredit.
Banken arbeiten mit „Hebeln“
Die angeführten Banken stehen derzeit alle stabil da und sind gut kapitalisiert. Aktuelle Gefahr besteht also nicht. Allerdings: Banken arbeiten mit relativ hohen „Hebeln“, das harte Eigenkapital liegt bestenfalls (wie beispielsweise bei den österreichischen Instituten) in der Gegend von zehn Prozent. Das heißt, dass schon relativ überschaubare Ereignisse einzelne Institute durchaus ins Trudeln bringen können. Bei den beiden zypriotischen Banken (aggregierte Bilanzsumme 64 Mrd. Euro) reichte im Wesentlichen der 4,8-Mrd.-Euro-Verlust aus dem „Haircut“ bei griechischen Staatsanleihen. Der überstieg ihr Eigenkapital.
Wo liegen eigentlich in der EU die größten Länderrisken? Der helle Wahnsinn spielt sich da in der zentralen Steueroase Luxemburg ab: Dort übersteigt die aggregierte Bankbilanzsumme das BIP um satte 2430 Prozent. Dagegen machen sich Problemzonen wie Irland (800 Prozent) sowie Malta und Zypern (je 700 Prozent) direkt putzig.
Relativ haarig ist die Situation auch in Großbritannien, wo der Bankensektor 560 Prozent des BIPs erreicht. Österreich spielt mit Deutschland in einer Liga, der BIP-Anteil des Bankensektors liegt hier beim ungefähr Dreifachen des BIPs.
Der angekündigte „Rückbau“ des Bankensektors, der die Systemstabilität erhöhen könnte, geht nur sehr schleppend voran. Substanziell hat hier nur die Schweiz einiges geschafft. Aber die gehört ja nicht zur EU.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2013)