Studie: Die Baby-Baisse der Krisenländer

BabyBaisse Krisenlaender
BabyBaisse Krisenlaender(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Neuer Alarm: Die Rezession lässt die Geburtenraten in Europa schon wieder sinken. Wie Wirtschaft und Kinderzahl zusammenhängen, überrascht Demografen.

Berlin. Was viele befürchtet haben, liegt in Zahlen auf dem Tisch: Die Krise lässt die Geburtenrate in den Euro-Krisenstaaten wieder sinken. Die Rezession macht die aufkeimende Hoffnung einer Trendwende vielerorts zunichte. Besonders deutlich in Spanien: Im Jahr 2001 lag dort die Zahl der Kinder pro Frau nur noch bei 1,24. Dann stieg sie kontinuierlich an und erreichte 2008 einen Wert von 1,47. Doch in eben diesem Jahr schnellte die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe, was nicht ohne Folgen blieb: Innerhalb von zwei Jahren sackte die Fertilitätsrate, wie es korrekt heißt, wieder auf 1,36 ab.

Ein Einbruch ist auch in Ungarn, Irland, Kroatien und Lettland zu beobachten. In Italien, Großbritannien, Polen kommt der positive Trend zum Stillstand. Die Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock zeichnen eine „klare und konsistente negative Wirkung der Arbeitslosigkeit auf die Fertilitätsrate“ nach. Am stärksten ist der Einfluss bei jüngeren Paaren. Unsichere Jobsituation und hohe Jugendarbeitslosigkeit führen dazu, dass die Jüngeren das Kinderkriegen verschieben, in der Hoffnung, es später nachholen zu können – es sei denn, die wirtschaftliche Flaute dauert noch lange an.

In Ländern Nordeuropas, die von Krise und Arbeitslosigkeit weniger betroffen sind, setzt sich der erwartete Trend hingegen fort. Das liegt offenbar auch an den Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates, der ökonomische Rückschläge abfedert. Darauf deuten die Zahlen für Frankreich hin: Obwohl auch dort die Zahl der Arbeitslosen deutlich anstieg, blieb die Gebärfreudigkeit ungebrochen. Offenbar vertrauen die Französinnen darauf, dass Krippenplatz und Kindergeld ihre Familienplanung absichern.

Freilich geht es nicht nur um Ökonomie. Wertewandel oder ein neues Rollenbild der Frau haben noch größeren Einfluss auf den Kinderwunsch. Zudem betonen die Rostocker Demografen, dass ihre Ergebnisse nur für das „Europa von heute“ gültig sind. Denn wie Wirtschaft und Kinderzahl zusammenspielen, hat sich schon öfters überraschend geändert.

Wieder eine neue Theorie?

Noch im 19.Jahrhundert schien es, dass Wohlstand und Fortschritt zu immer mehr Geburten führen würden. Doch um die Jahrhundertwende entdeckte man erstaunt: Die Zahl der Geburten geht zurück, und zwar am stärksten bei den oberen Schichten. Daraus entwickelte sich eine scheinbar gesicherte Erkenntnis: Je besser es den Menschen geht, desto weniger Kinder gebären sie. In Entwicklungsländern ohne soziale Absicherung „produzieren“ die Erwachsenen viele Nachkommen, um ihre Altersversorgung zu sichern – nicht jeder überlebt, nicht jeder hat Erfolg.

In reichen Nationen aber ist den Eltern wichtig, dass ihre Kinder durch intensive Zuwendung und beste Ausbildung einen möglichst guten Start erwischen. Qualität geht vor Quantität, die Zahl der Kinder sinkt. Neben diesem langfristigen Trend erwarteten die Forscher immer auch Schwankungen parallel zur Konjunktur, wie wir sie nun in Europa erleben. Aber auch diese Erwartungen wurden schon enttäuscht: Just als Anfang der Siebzigerjahre die deutsche Wirtschaft boomte, überschritt die Zahl der Todesfälle erstmals jene der Geburten. In allen Industriestaaten schien es nun mit der Fertilitätsrate nur noch bergab zu gehen.

Erst 2009 gaben Forscher der Universität von Pennsylvania leichte Entwarnung. Sie verglichen die Geburtenraten von über 100Ländern mit dem Human Development Index, der das BIP pro Kopf mit Lebenserwartung und Bildungsniveau kombiniert. Und siehe da: Wenn dieser Index (zwischen null und eins) hohe Werte (ab 0,85 bis 0,9) überschreitet, wendet sich das Blatt. Die Frauen bekommen wieder mehr Nachwuchs – vielleicht deshalb, weil der bestmögliche Start nun auch für mehrere Kinder garantiert ist. Doch es gibt Ausreißer: Japan, wo die Geburtenrate weiter sinkt, oder Deutschland und Österreich, wo sie stagniert. Das wird gern mit einer relativ schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Kindern erklärt.

Stoßen die neuen Zahlen diese junge Theorie schon wieder um? Vermutlich nicht, weil es vor allem um vorübergehende „Aufschiebeeffekte“ gehen dürfte. Aber sie zeigen, wie leicht das zarte Pflänzchen der steigenden Geburtenraten in den wohlhabenden Nationen zu knicken ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2013)


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