Das größte Experiment aller Zeiten

Experiment aller Zeiten - Notenbankbilanz
Experiment aller Zeiten - Notenbankbilanz(c) REUTERS (� Kevin Coombs / Reuters)
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Die Zentralbanken haben das System erst mal gerettet. Aber können sie sich wieder zurückziehen? Und was geschieht beim nächsten Crash?

Wien. Auf einmal stand die Welt still. Nein, falsch. Die Welt stand nicht still, „nur“ das Geld stand still. Und warum? Weil Banken, Fonds und andere Marktteilnehmer einander nicht mehr trauten – weil niemand die nächsten Lehman-Brothers sein wollte. Das war der Beginn der Krise. Die Welt stand nicht ganz still – aber am Abgrund stand sie schon.

Dann kamen die Zentralbanker: Bernanke, Trichet, und wie sie alle hießen. Normalbürger kennen diese Menschen nur von sporadischen Fernsehauftritten. Man hat sie nicht gewählt, sie wurden ernannt zu den obersten Bürokraten des Geldsystems. Sie sind wichtig, ja. Und sicherlich auch sehr gescheit. Was sie tun? Das weiß keiner so genau – ist aber auch egal. Zumindest solange die Welt nicht wieder an den Rande des Abgrundes gedrängt wird – solange das Geld fließt.

Eine Zentralbank ist (flapsig gesagt) eine große Gelddruckmaschine. Die Federal Reserve druckt den Dollar, die Europäische Zentralbank den Euro, die Bank of England das Pfund – und so weiter. Die Ökonomen streiten sich noch, ob solche Institutionen nun im Mittelpunkt des „Turbokapitalismus“ stehen oder doch eher die Rolle „zentraler Planer“ übernehmen, ein bisschen wie ein sowjetisches Politbüro. Sie legen ja am Ende des Tages ziemlich willkürlich den „Preis des Geldes“ fest: den Zins.

„Last line of defence“

Was aber offensichtlich ist – und seit der Krise nicht mehr zu bestreiten: Die Notenbanken stehen in der Mitte des Systems, in dem wir heute leben – ganz egal, wie wir es nennen. Mehr noch: Sie sind die „last line of defence“. Wenn sich Politiker wie Merkel, Obama oder Faymann nicht mehr auskennen mit „der Wirtschaft“, dann wenden sie sich an Bundesbank-Chef Weidmann, Fed-Chef Bernanke oder Nationalbank-Chef Nowotny. Und wenn sich diese Herren auch nicht mehr auskennen, kann man schon einmal die Ablaufdaten der Essensvorräte checken.

Freilich: Die Notenbanker haben durch das „entschlossene Eingreifen“ wohl tatsächlich das Schlimmste verhindert. Beide Geldinstitutionen der größten bedrohten Wirtschaftsräume (USA und Europa) scheinen ein Konzept für ihren Verantwortungsbereich gefunden zu haben: Auf beiden Seiten des Atlantiks besteht dieses Konzept aber in erster Linie aus mehreren Flutwellen an billigem Geld: für Staaten und Banken.

Wie gewaltig dieser Eingriff in den Markt ausgefallen ist, kann man an der Entwicklung der Zentralbankbilanzen sehen – wo die mit frisch gedrucktem Geld gekauften „Assets“ landen. Deren Ausweitung ist die buchhalterische Manifestation des größten Geldexperments, das die Menschen je gesehen haben.

Sein Ausgang ist noch immer ungewiss. Denn das Experiment hat uns bisher nur ins „Auge des Sturms“ gerettet. Das Haus steht noch – jetzt ist die Frage, wie man das frische Geld (also das eilig errichtete Notgerüst) wieder entfernt – einen neuen Crash aber vermeidet. Darum geht es, wenn die Federal Reserve von der „Drosselung“ der lockeren Geldpolitik redet – davon, die monatlichen (!) Geldspritzen für US-Regierung und Immobilienmarkt in einem ersten Schritt von 85 Mrd. Dollar auf 75 Mrd. zu reduzieren. Dass dies kein leichtes Unterfangen wird, hat schon die starke Negativreaktion der Märkte auf erste dementsprechende Statements gezeigt. Denn auch das ist ein Kennzeichen der „neuen Normalität“: Gute Nachrichten sind schlechte – und umgekehrt. Solange die Aussichten düster bleiben, bleibt das Geld superbillig – und die Kurse steigen. Alles klar?

Die EZB ist ihren Teil der Weltrettung ein bisschen anders angegangen als die Fed. Und wenn man sich die Entwicklung der Bilanz ansieht, stellt man fest: Seit Jänner redet zwar die Fed von der „Drosselung von Quantitative Easing“, wie ihr Gelddruckprogramm heißt. Aber es ist die EZB, nicht die Fed, die auch Ergebnisse aufweisen kann. Die Bilanzsumme der EZB schrumpft bereits wieder – weil die Banken das ihnen zugeteilte superbillige Geld wieder zurückzahlen müssen. Und die Fed? Die druckt erstmal fleißig weiter. Denn – und das wird gern vergessen – eine Reduzierung der Assetkäufe um zehn Mrd. Dollar bedeutet noch lange nicht das Ende von Quantitative Easing. Und eine „Zinswende“, wie manche Zeitungen schrieben, ist es erst recht noch nicht. Die Zinsen werden erst wieder steigen, wenn die Welt tatsächlich gerettet ist.

Und beim nächsten Mal?

Und jetzt, fünf Jahre nach Lehman, ist diese Rettung höchstens zur Hälfte abgeschlossen. Denn wenn die Notenbanken die schwierigere Aufgabe, die Rückkehr zur Normalität, nicht meistern können – dann riskieren sie das Aufbäumen einer ziemlich deutlichen Inflation – eine Option, die aber zumindest der EZB gar nicht gegeben ist.

Sie hat (anders als die Fed, die auch auf den Arbeitsmarkt achten muss) ausschließlich ein Inflationsziel zu erfüllen: „knapp bei, aber unter zwei Prozent“. In Zeiten von weltweitem Kreditabbau (Deleveraging) sorgt das frische Zentralbankgeld nicht für Inflation, weil die Geldmenge nicht stark wächst (und ein schwacher Arbeitsmarkt auch das Lohnniveau in Schach hält). Aber sollten die Zentralbanken ihr Ziel erreichen und die Konjunktur tatsächlich wieder anspringen (was sie bisher entgegen einigen Jubelmeldungen nicht wirklich getan hat), dann muss das frische Geld schon abgezogen sein. Dass viele Politiker insgeheim (oder ganz offen) auf höhere Inflation hoffen, um die gewaltigen Staatsschuldenberge abzubauen, macht den Notenbankern diese Aufgabe nicht einfacher.

Und dann ist da noch diese unangenehme Wahrheit. Dass die Krisen häufiger werden – und die Interventionen immer heftiger –, ist kein Zufall. Schon die letzten Blasen sind durch billiges Zentralbankgeld entstanden. Das ist quasi Modus Operandi in diesem System. Es hat nur einen Haken: Irgendwann ist Schluss. Irgendwann zeigen die Interventionen keine Wirkung mehr und werden deshalb immer verzweifelter. Nach der Dotcom Bubble reichten Niedrigzinsen, nach Lehman war es Quantitative Easing – aber was ist es beim nächsten Mal?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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