Fünf Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers sind die Folgen noch deutlich zu spüren. Europa hat mehr verloren als nur fünf Jahre Wachstum. Hier war der Schock nämlich nur Auslöser für eine tiefer liegende Krise.
Wien. 15.September 2008. Mitten in der Finanzkrise traf der damalige US-Finanzminister Henry Paulson eine schwerwiegende Entscheidung: Die Vereinigten Staaten würden die überschuldete Investmentbank Lehman Brothers nicht auffangen (>>>mehr zur Chronologie des Jahres 2008). Die Folgen sind bekannt: Mit ihrem Bankrott riss Lehman Brothers um ein Haar das globale Finanzsystem mit sich, Banken misstrauten einander, gaben ihr Geld nicht mehr aus der Hand. Die Welt verlor an den Börsen zwischenzeitlich ein Vermögen von über zehn Billionen Euro. Die Weltwirtschaft schlitterte in die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.
Heute, fünf Jahre später, sind die Auswirkungen des Schocks immer noch zu spüren. Zwar verhinderten Staaten und Notenbanken mit Verstaatlichungswellen und einer Geldschwemme die Neuauflage der Großen Depression der 1930er-Jahre. Doch an den Nebenwirkungen dieser „Rettung“ werden Steuerzahler und Sparer noch lange laborieren. Viel bewirkt hat sie unterdessen nicht: Die Börsen sind zwar wieder auf dem Niveau von 2008. Die Weltwirtschaft ächzt sich langsam aus dem Tal. Dennoch sind wir weit davon entfernt, die Krise verdaut zu haben.
Während Rezessionen üblicherweise binnen weniger Jahre kompensiert werden können, sind die meisten Länder heute noch nicht einmal auf ihrem Wohlstandsniveau von 2008. Von einer Rückkehr zum alten Wachstumspfad ist ohnedies keine Rede. Angesichts zögernder Umsetzung der Reformen, die alle Staatenlenker 2008 hoch und heilig versprochen haben, ist auch der nun erwartete Aufschwung mehr als gefährdet.
Österreich tritt auf der Stelle
Österreich, so scheint es, ist ein Sonderfall. Schon im Jahr 2011 erwirtschaftete jeder Bürger wieder so viel wie 2008. Glaubt man den Statistiken des Klubs der reichen Länder (OECD), sind die Österreicher sogar reicher als vor der Krise. Ein Grund zum Feiern ist das jedoch nicht. Denn seit Österreich die Wirtschaftsleistung von 2008 wieder erreicht hat, tritt das Land auf der Stelle. Wir haben mehr verloren als nur fünf Jahre Wirtschaftswachstum. Auch das sogenannte Potenzialwachstum (die langfristig mögliche Wachstumsrate bei normaler Kapazitätsauslastung) ist auf 1,3 Prozent gesunken. Bis in die Mitte der Nullerjahre war ein Potenzialwachstum von 2,5 Prozent Realität. Österreich wird also nicht mehr so schnell wachsen wie früher.
Dieses Problem teilt das Land mit ganz Europa. Denn auf dem alten Kontinent war die Finanzkrise nur der Auslöser für die schwere, viel tiefer liegende Schulden- und Wettbewerbsfähigkeitskrise. Seit 2011 taumelt Europa beim Wachstum um die Nulllinie, während die USA nach oben gehen. Ökonomen haben dafür zwei Erklärungen: Folgt man den Geldtheoretikern, liegt die Verantwortung dafür allein bei den Notenbanken. Verglichen mit der US-amerikanischen Federal Reserve hat die Europäische Zentralbank den Markt mit weniger Geld geflutet. Der amerikanische Aufschwung sei nur Teil einer Blase, gefüllt vom Geldregen der Fed, kritisieren die Monetaristen.
Was damals wirklich geschah
Doch das ist nur ein Teil der Erklärung. Denn auch die Macht der Notenbanken ist begrenzt, wie man zuletzt in Österreich gut beobachten konnte. Die vergangenen beiden Zinssenkungen der EZB kamen laut OeNB-Bericht bei den Unternehmen nicht mehr an. Im Gegenteil: Die Kreditzinsen stiegen sogar leicht an. Europas Rückfall muss daher noch einen zweiten Grund haben – und dieser ist hausgemacht: Löhne, Steuern, Energiekosten. Bei vielen wettbewerbsrelevanten Faktoren ist Europa ins Hintertreffen geraten. Während die Arbeitskosten in den USA seit 2008 teilweise drastisch gesunken sind, steigen sie in weiten Teilen Europas munter an.
Die Folgen von Lehman werden uns noch lange begleiten: Österreichs Wirtschaft wird langsamer wachsen als früher. Jeder kleine Schnupfen der globalen Konjunktur kann uns in eine erneute Rezession stürzen. Am längsten werden sich Sparer und Steuerzahler an die Krise erinnern: dann, wenn sie die Schuldenberge der Staaten abzahlen oder dabei zusehen, wie ihr Geld von niedrigen Zinsen entwertet wird.
Für die Schuldenländer zeichnet sich eine zaghafte konjunkturelle Erholung ab. Als Erstes soll Irland mit Jahresende die Intensivstation der Eurozone verlassen.