Prozess gegen Ex-Minister: Griechenland räumt auf

Tsochatzopoulos
Tsochatzopoulos (c) EPA
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Nächste Woche wird das Urteil im Prozess gegen Akis Tsochatzopoulos gefällt. Der Ex-Minister steht stellvertretend für das korrupte System, das das Land in den Abgrund führte.

Zahltag in Griechenland? Nach Monaten der Zeugeneinvernahmen, nach den Plädoyers von Anklägern und Verteidigung wird in wenigen Tagen der Korruptionsprozess gegen Akis Tsochatzopoulos zu Ende gehen. Tsochatzopoulos, Minister in allen Regierungen der sozialistischen Pasok der letzten Jahrzehnte, machte als rechte Hand des Parteigründers Andreas Papandreou Karriere und brachte es um ein Haar bis zum Ministerpräsidenten: Er verlor 1996 die parteiinterne Kampfabstimmung über die Nachfolge des verstorbenen Papandreou um nur eine Stimme.

Der studierte Bauingenieur spielte sich bei Parteitagen als soziales Gewissen auf. Laut Anklage war der Politiker aus Nordgriechenland ein unersättlicher Schmiergeldsammler, ein Kreuzritter der Korruption. Als Verteidigungsminister ließ er laut Staatsanwalt kaum eine Gelegenheit aus, die Hand aufzuhalten. Sein Tarif: zehn Prozent des Auftrags. Er war nicht der Einzige: Noch heute erinnern sich altgediente Unternehmer an andere prominente Pasok-Minister, die ebenfalls ihren Preis hatten. Doch sie und ihre konservativen Erben waren vorsichtiger als der „fesche Akis“. Abgesichert durch ein maßgeschneidertes Amnestiegesetz für Minister können sie sich ungestört ihrer illegalen Abfertigungen erfreuen. So darf sich Tsochatzopoulos jetzt nicht ganz zu Unrecht als „politischer Sündenbock“ sehen.


Wilde Party. Politikern und auch Großunternehmern, die traditionell eng mit der politischen Klasse verflochten sind, weht im Zeichen der Schuldenkrise, in der die Steuerzahler gezwungen werden, die Zeche für die wilde Party der Jahre von 1999 bis 2009 zu zahlen, ein scharfer Wind entgegen. Politiker werden Opfer von Übergriffen, sie werden mit Joghurt und anderen Köstlichkeiten beworfen. Langsam, aber doch hat sich die Justiz daran gemacht, die Schuldigen an der griechischen Misere hinter Gitter zu bringen. Manchmal übertreiben es die Staatsanwälte mit der griechischen Spielart der Aktion „Saubere Hände“. Auch Tsochatzopoulos wurde unnötigen Demütigungen ausgesetzt, etwa, als er aufgefordert wurde, die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Theatralische Vorführungen von Festgenommenen in Handschellen wirken befremdlich, vor allem dann, wenn dieselben Personen am nächsten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt werden.


Familienbeihilfe auf Griechisch. Wie schwer es ist, der Verdächtigen habhaft zu werden, zeigt der Fall des ehemaligen Finanzministers Giorgos Papakonstantinou. Er wird verdächtigt, die Namen von Verwandten aus einer Liste griechischer Kunden einer Schweizer Bank gestrichen zu haben. Ein Parlamentsausschuss hat ihn an ein Sondergericht verwiesen. Doch noch ist nicht sicher, ob sein Fall überhaupt verhandelt werden darf: Konkret geht es um die absurde Frage, ob es sich bei der eintägigen Sitzungsperiode des griechischen Parlaments zwischen der Wahl vom Mai 2012 und der Wiederholungswahl vom Juni desselben Jahres um eine volle Parlamentsperiode handelt. Ist es so, wäre das Vergehen von Papakonstantinou verjährt.

Die Ministeramnestie von Tsochatzopoulos konnte auch nur durch eine juristische Finte umgangen werden. Da Geldflüsse auf Schwarzgeldkonten auch nach seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt vorliegen, geht man davon aus, dass er seine verbrecherische Tätigkeit fortgesetzt hat, was zur Aufhebung der Immunität führt. Der Ex-Minister transferierte die Schmiergelder laut Anklage an ausländische Offshore-Firmen und investierte sie in der Folge in griechische Immobilien. Eines der Beweismittel: ein Tagebuch des Ex-Ministers, voll von Zahlen, Hasstiraden auf politische Gegner und anderen Manifestationen eines problematischen Charakters.

Die volle Wucht des Gesetzes traf den konservativen Langzeitbürgermeister von Thessaloniki, Vasilis Papageorgopoulos, der im Februar in erster Instanz wegen Unterschlagung zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Seither schreibt der elegante ehemalige Spitzensportler, Fahnenträger der griechischen Olympia-Mannschaft bei den Spielen in Montreal 1976, aus seiner Zehn-Mann-Zelle Briefe an die Öffentlichkeit, in denen er seine Unschuld beteuert. Als Bürgermeister soll er einen Teil der Arbeitnehmerabgaben der Gemeindebediensteten abgezweigt haben. Der Schaden soll bei einem zweistelligen Millionenbetrag liegen.


Der Unternehmer. Liebkind des politischen Establishments war einst der Pharmaunternehmer Lavrentis Lavrentiadis. Er brachte es fertig, mit seinem Pharmakonzern Alapis 1,2 Milliarden Euro Schulden zu machen. Er sitzt im Gefängnis und wartet auf seinen Prozess.

Der Börsenwert der Firma des kleinen Pharmaunternehmers stieg 2003 nach plötzlichem Interesse ausländischer Investoren um 1400 Prozent. Der internationale Konzern Carlyle kaufte das Unternehmen um 479 Mio. Euro. Ein Jahr später kaufte es Lavrentiadis – billig – zurück und begann, mit dem Erlös des Verkaufs seinen Konzern aufzubauen. Er erwarb die Proton-Bank und verteilte über sie, laut Anklage, Kredite im Wert von 800 Mio. Euro an seine Unternehmen, ohne Aufsicht, ohne Sicherungen. Die Gelder von zwei Kapitalerhöhungen wurden, ebenfalls laut Anklage, auf Auslandskonten von Lavrentiadis verschoben. Dann kam die Krise, und das Unternehmen war pleite. 3500 Angestellte verloren den Job, Banken blieben auf Krediten in Höhe von 600 Mio. Euro sitzen – dafür kam später das Bankenrettungspaket der EU auf. Die „neue“ Proton-Bank wird refinanziert – ebenfalls auf Kosten der europäischen Steuerzahler.

Die Liste der gefallenen Größen ist lang. Mit Unglauben verfolgen die Griechen, wie einst allmächtige Politiker, Baukönige, Societygrößen, Modezaren, Reeder, Verleger und Banker hinter Gitter wandern. Ganz können sie es noch immer nicht glauben.

Zahlen

240 Milliarden Euro schwer ist das Rettungspaket der Eurozone und des Internationalen Währungsfonds für den griechischen Staat.

170 Prozent. So hoch ist der griechische Schuldenberg in Relation zur Wirtschaftsleistung des Landes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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