Bankenunion: EU sucht nach geringstem Übel

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Euro-Rettungsfonds ESM wird ins Spiel gebracht, um marode Banken zu rekapitalisieren. Berlin zeigt sich skeptisch.

Brüssel. Dass die Entscheidungsfindung in der EU auf dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners basiert, gehört zum Standardrepertoire der europäischen Allgemeinplätze. Die unendliche Geschichte um die Bankenunion belegt allerdings, dass bei manchen Dossiers die Schnittmengen mikroskopisch klein sind, das Konfliktpotenzial hingegen riesig – insbesondere, wenn es darum geht, wer offene Rechnungen zu begleichen hat.

Hauptzweck der Bankenunion ist es, Licht ins Dunkel der Bilanzen zu bringen und die Ansteckungsgefahr zwischen Geldhäusern und Staatshaushalten zu verringern (siehe Artikel links). Denn als die Immobilienblasen in Irland und Spanien platzten, zeigte es sich, dass die benötigten Hilfen für überschuldete Banken die nationalen Budgets sprengten – bis am Ende die Troika (IWF, EU und EZB) den betroffenen Ländern mit Notkrediten aushelfen musste. Das Beispiel Zypern wiederum führte allen Beteiligten vor Augen, dass die Finanzinstitute in der Eurozone bis dato mangelhaft beaufsichtigt wurden: Die Mittelmeerinsel hatte sich als Offshore-Finanzzentrum etabliert und in Folge einen überdimensionierten Bankensektor herangezüchtet, der in Schwierigkeiten geriet, als Griechenland seine Schulden nicht mehr bedienen konnte.

Die Bankenunion besteht aus drei Elementen: einer Aufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank, einem Mechanismus zur geordneten Abwicklung maroder Institute sowie einer gemeinsamen Sicherung der Einlagen – dieses letzte Element ist allerdings wegen seiner politischen Brisanz wieder in der Schublade verschwunden. Während die Aufsicht fix ist und demnächst mit der Überprüfung der 130 größten Banken der Eurozone beginnt, wird über den Abwicklungsmechanismus, der laut EU-Fahrplan bis Jahresende unter Dach und Fach gebracht werden sollte, immer noch gestritten.

Juristische Bedenken

Die vorliegende Blaupause der EU-Kommission hat wenig Chancen auf Verwirklichung – der vermutlich letzte Sargnagel war eine am Dienstag veröffentlichte Stellungnahme des juristischen Dienstes des Rats, der zufolge die Brüsseler Behörde mit dem Entwurf ihre Kompetenzen überschreitet. Kernelement ist nämlich ein separates, mit nationalen und EU-Vertretern besetztes Gremium, das die Abwicklung einer Bank vorbereitet – das letzte Wort soll die EU-Kommission haben. Der Haupteinwand der Juristen: Es sei nicht akzeptabel, dass eine externe Agentur ein EU-Mitglied dazu verpflichten könne, die Schließung einer Bank aus Steuermitteln zu finanzieren – diese Kompetenz stehe nur einer Institution der EU zu. Im Klartext: Der Abwicklungsmechanismus ist nur dann machbar, wenn er entweder bei der Kommission selbst oder bei einem neu geschaffenen Organ der Union angesiedelt ist. Variante zwei bedarf allerdings einer Änderung der EU-Verträge.

Um die Quadratur des Kreises zu schaffen, griff Binnenmarktkommissar Michel Barnier nun auf eine vermeintliche Allzweckwaffe zurück: den mit 500 Mrd. Euro dotierten Euro-Rettungsfonds ESM. Die Institution wurde 2012 als Nachfolgerin des provisorischen Rettungsschirms EFSF aus der Taufe gehoben, um Staaten mit Hilfskrediten zu versorgen. Laut Barnier könnte der ESM die Bankenabwicklung übernehmen – bis es so weit ist, würde die Kommission diese Aufgabe provisorisch wahrnehmen. Dieses Provisorium könnte sich als äußerst langlebig erweisen, denn um dem ESM diese Befugnis zu übertragen, müsste er per Vertragsänderung zu einer EU-Institution gemacht werden. Ob das Prozedere in Krisenzeiten Aussicht auf Erfolg hätte, ist unklar. In Irland beispielsweise müssten die Wähler in einem Referendum zustimmen. Insofern verwundert es nicht, dass Deutschland gestern Barniers Vorschlag zurückwies. Berlin spricht sich zwar ebenfalls für eine Änderung der EU-Verträge aus, um die Bankenunion hieb- und stichfest zu machen, will aber in der Zwischenzeit die Befugnis über allfällige Bankschließungen in nationalen Händen belassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2013)

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