Wie ein stinknormales Dorf zur Touristenattraktion wurde

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Kidlington bei Oxford hat keine besondere Sehenswürdigkeit zu bieten, trotzdem wird der Ort von Chinesen überrannt.

Das englische Dorf Kidlington hat 50 Geschäfte, eine alte Kirche, eine Dorfhalle, eine Feuerwehr und ein Polizeiquartier. Es gibt laut Gemeindeverwaltung rund 13.700 Einwohner, weshalb Kidlington als zweitgrößtes Dorf Englands gilt. Alles scheint völlig normal zu sein. Doch das änderte sich Anfang 2016. Zu diesen Zeitpunkt begannen Gruppen chinesischer Touristen fotografierend durch Kidlington zu ziehen, wie der "Spiegel Online" berichtet.

Rästelhafter Trend

Zuerst schrieben lokale Medien im Frühsommer über Busse, die jeweils Gruppen von 40 Chinesen in Kidlington absetzten und nach einer Weile wieder einsammelten. Die internationlen Besucher nutzten ihren Aufenthalt, Privathäuser zu fotografieren und Spielgeräte in Vorgärten auszuprobieren. Die Bewohner des Ortes hingegen waren irritiert. Warum fotografieren die mein Haus? Meinen Garten? Das Thema machte in sozialen Medien die Runde. Nicht nur den Einwohnern erschien der Touristenanstrum rätselhaft.

Die Theorien

Es dauerte nicht lange bis die ersten Journalisten anreisten, um eine Erklärung zu finden. Und davon gab es einige: Manche behaupteten Kidlington, wirke auf die Chinesen extrem idyllisch, weil es so sauber sei. Alle schmissen ihren Müll in bereitgestellte Tonnen, wie sich die Touristen bei ungezählten Stichproben gern vergewisserten. Und überhaupt biete das Dorf eine Umwelt mit viel Grün, die die Chinesen endlich mal wieder daran erinnere, wie es sein könnte, wenn die Dinge nur richtig gemacht würden.



Eine wenig schmeichelhafte Theorie lautete: Kidlington liege schlicht und ergreifend im perfekten Pinkelpausen-Timing zwischen zwei wirklich sehenswerten Orten. Wo auch immer. Es mag sogar sein, dass die Chinesen Kidlington tatsächlich auch deshalb auswählten. Der eigentliche Grund, ist jedoch ein anderer.

Es geht wie immer um das Geld

Die "New York Times" kam der Sache schließlich auf den Grund. Und ja, des Rätsel-Lösung hat mit dem lieben Geld zu tun: Exakt 6,2 Kilometer vom Zentrum von Kidlington entfernt liegt der Eingang zu Blenheim Palace, dem Stammsitz der Churchills und Ort der bekanntesten Ausstellung über deren berühmtesten Spross Winston. Blenheim ist Pflicht für Chinesen auf Tour, aber nicht jeder hat Lust, die zusätzlichen 68 Dollar, wie die "Times" aufrechnet, zu bezahlen, die der Tourveranstalter dafür verlange.

Findiger Tourveranstalter

Diejenigen, die das Schloss nicht besichtigen wollten, hätte man früher einfach in der Nähe abgesetzt und später wieder eingesammelt. Bis die herausfanden, dass sie zum Schloss laufen, 24,90 Pfund Eintritt zahlen und das Schloss auf eigene Faust erkunden konnten. Und das, so die "Times", habe für Irritationen gesorgt, wenn im Schloss chinesische Wenig- auf Vielzahler trafen.

Der Tourveranstalter löste das Problem, indem er zahlungsunwillige Chinesen einfach an einem Ort absetzte, von dem aus man mehr als eine Stunde brauchen würde, um nach Blenheim Palace zu laufen. Kidlington, so sieht es aus, ist also eine Art "Touristen-Parkplatz" und obendrein noch hübsch anzusehen.

>>> Spiegel Online

>>> New York Times

(past)

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