Was die Deutschen so groß und stark macht

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Als einziger Schuldner mit makelloser Kreditwürdigkeit baut die Bundesrepublik Deutschland seine Dominanz in der Eurozone weiter aus. Dahinter stehen bärenstarke Wirtschaftsdaten. Ein Boom auf Kosten der anderen?

Berlin. Wer zahlt, schafft an: Diese simple Weisheit treibt nun einen Keil in die Eurozone. Denn nach dem Rundumschlag von Standard & Poor's gibt es im Währungsraum nur mehr ein Land mit makelloser Kreditwürdigkeit samt stabilem Ausblick: Deutschland. Umso mehr steht und fällt nun die Finanzierung von Rettungsmaßnahmen in der Eurokrise mit der größten Volkswirtschaft. Diese Dominanz schafft Unmut unter den Partnern. Sie fürchten, dass ganz Europa nach der Pfeife von Kanzlerin Merkel tanzen muss. Das klingt dann so: konsequentes Sparen, ergänzt um radikale Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei Pensionen – alles nach dem Muster des Musterknaben.

Dabei hüten sich die Politiker in Berlin davor, den Taktstock zu auffällig zu schwingen. Es überwiegt solidarisches Kopfschütteln über das Verdikt aus Übersee. S&P habe nicht begriffen, kritisiert Finanzminister Wolfgang Schäuble, „was wir in Europa schon auf den Weg gebracht haben“. Wir in Europa – obwohl Deutschland die anderen meilenweit überholt hat. Die Dominanz kommt aus der wirtschaftlichen Macht des Faktischen: der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Waren.

Aber auch dieser Erfolg bleibt nicht ohne Neider. So manche Ökonomen trommeln, die Deutschen hätten sich durch „Lohndumping“, den Verzicht auf Lohnsteigerungen, einen unfairen Vorteil in ihrem Hauptexportmarkt Eurozone verschafft. Diese Argumentation hat nun das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) kräftig zerpflückt. Nur in einem engen Zeit- und Raumfenster gäbe die Statistik den Kritikern recht: Von der Euroeinführung 1999 bis 2007, dem letzten Jahr vor der Krise, sanken die industriellen Lohnstückkosten in Deutschland um 16 Prozent, während sie im restlichen Euroraum um 3,5 Prozent stiegen. Die Lohnstückkosten geben das Verhältnis der Arbeitskosten zur Wertschöpfung an und sind so ein wichtiger Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes.

Betrachtet man aber die Zeit von 1990 bis heute und lässt man die Welt nicht an den Grenzen Europas enden, sieht es ganz anders aus. Nach der Wiedervereinigung überschätzten die euphorischen Deutschen die Produktivität in den Betrieben der Ex-DDR und erhöhten die Löhne viel zu stark. Die Folge: Deutschland verlor zwölf Prozent Marktanteil auf seinen Exportmärkten und wurde zum „kranken Mann“ Europas.

Lohnstückkosten sind konstant

Erst im neuen Jahrtausend halfen moderate Abschlüsse und die „Agenda 2010“, Terrain zurückzugewinnen. Der Spielraum wurde in der Krise eingesetzt, um Kündigungen zu vermeiden. Der Preis: Nirgendwo anders brach die Produktivität so stark ein. Dafür konnten die Firmen, als die Nachfrage wieder anzog, mit der gewohnten Belegschaft wieder durchstarten.

Das überraschende Ergebnis: Seit der Euroeinführung blieben die deutschen Lohnstückkosten konstant. Höhere Lohnsteigerungen waren angesichts der globalen Konkurrenz auch nicht drin, erklären die IW-Forscher. So brachten die USA im letzten Jahrzehnt ihre Lohnstückkosten um elf Prozent herunter, die Japaner sogar um 32 Prozent. Deutschland hat sich also nicht besonders gut entwickelt, sondern Länder wie Frankreich, Italien und Spanien haben viel zu wenig getan, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Über den gesamten Zeitraum ab 1990 stiegen die Lohnstückkosten ähnlich stark bei den anderen Ländern der Eurozone. Das absolute Niveau bleibt hoch: Nur vier wichtige Industriennationen und EU-Länder haben höhere Lohnstückkosten. Wenn also alle Welt deutsche Waren kauft, hat das einen anderen Grund. Die Industrie besetzt Nischen statt Massenproduktion, sie punktet mit Innovation und maßgeschneiderten Lösungen. Das macht die Produkte weniger preissensibel, aber nicht immun für den Wettbewerb.

Der Lohn für moderate Löhne ist die hohe Beschäftigung. Sie bringt nun auch mehr Binnenkonsum, „viel stärker als durch überzogene Lohnabschlüsse“, wie IW-Chef Michael Hüther betont. Von der neuen deutschen Kauflust und den Importen von Vorprodukten profitieren auch die anderen Euroländer – weit mehr, als wenn Deutschland immer noch der „kranke Mann Europas“ wäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2012)

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