Athen: Griechenlands Schuldenschnitt als Nervenprobe

Athen Griechenlands Schuldenschnitt Nervenprobe
Athen Griechenlands Schuldenschnitt Nervenprobe(c) REUTERS (YIORGOS KARAHALIS)
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Die Verhandlungen mit Privatgläubigern traten am Wochenende auf der Stelle. Griechenland hofft dennoch am Montag eine Einigung präsentieren zu können.

[athen/AG.] Der Zeitdruck ist enorm. Doch die Verhandlungen über einen griechischen Schuldenschnitt sind trotzdem eine sogenannte Hängepartie. Ursprünglich wollte man am Wochenende schon eine Einigung präsentieren, um gleich auch den Segen der Eurofinanzminister, die am Montag zusammentreffen, einzuholen. Doch die Sache wird immer mehr zur Nervenprobe: Am Samstag hieß es, die Verhandlungen seien abgebrochen worden – eine Einigung sei „frühestens im Laufe der kommenden Woche“ möglich. Gestern, Sonntag, gab es dann wieder leicht optimistischere Töne: Griechische Medien gingen jedenfalls davon aus, dass die angestrebte Absichtserklärung (Memorandum of Understanding) spätestens am Montag fertig sein könnte.

Tatsächlich hatte es am Samstag nicht nach einer baldigen Einigung ausgesehen: Der Chef des Internationalen Bankenverbandes IIF, Charles Dallara, war wieder nach Paris geflogen. „Heute wird es keine Verhandlungen geben“, hieß es daraufhin. Die Gespräche könnten aber telefonisch fortgesetzt werden.
Gestern wurde hingegen versucht, die Sache weniger dramatisch darzustellen: Ein Sprecher des IIF sagte, die Gespräche seien nicht zu Ende. Dallara sei aus privaten Gründen nach Paris gereist.

Einigung – und dann Einspruch


Über den genauen Stand und verbleibende Streitpunkte gab es keine offiziellen Informationen. Dem Vernehmen nach hatte die griechische Seite am Freitag eine Vereinbarung mit dem IIF erreicht. Demnach sollten Privatgläubiger (Banken, Versicherungen, Hedgefonds) auf 65 bis 70 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Dafür würden sie Staatsanleihen mit 30-jähriger Laufzeit und einer Verzinsung von durchschnittlich vier Prozent erhalten. Doch dann sollen sich Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU indirekt in die Gespräche eingeschaltet haben. Dabei hätten sie darauf bestanden, dass der Zinssatz auf weniger als drei Prozent fallen sollte. Andernfalls bestehe keine Möglichkeit, dass Griechenland wieder auf eigenen Beinen stehen kann.

Selbst wenn man sich nun doch zu einer Absichtserklärung durchringt, wäre der langwierige Schuldenschnittprozess aber noch nicht zu Ende. Ein Erfolg hängt letztlich davon ab, wie viele Banken und andere Besitzer griechischer Staatsanleihen mitmachen und tatsächlich auf Geld verzichten. Angepeilt ist die Summe von 100 Mrd. Euro.
Griechenland sitzt auf einem Schuldenberg von rund 352 Mrd. Euro. Das entspricht 161 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Erlaubt sind nach den EU-Spielregeln allenfalls 60 Prozent.

206 Mrd. Schulden bei Privaten


Sollte der Schuldenschnitt wie erhofft gelingen, könnten die Schulden nach Schätzungen der EU und des IWF zunächst auf 152 Prozent fallen. 206 Mrd. Euro an Forderungen befinden sich in den Händen privater Gläubiger. Den teilweisen Schuldenerlass sollen sie freiwillig schultern. Ihr Engagement ist ein entscheidender Baustein für das zweite Hilfsprogramm für Griechenland, das 130 Mrd. Euro schwer ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2012)


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