EU-Gipfel: 25 Staaten einigen sich auf Fiskalpakt

Angela Merkel, Borut Pahor
Angela Merkel, Borut Pahor(c) AP (Frank Augstein)
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Mit Ausnahme von Großbritannien und Tschechien einigen sich die EU-Staaten im dritten Jahr ihrer Krise auf mehr oder weniger verbindliche Regeln zur Bändigung der Staatsschulden.

BRÜSSEL. 16 Artikel hat der neue Fiskalpakt, der Europas Staaten zur Eindämmung ihrer Schulden antreiben soll. 25 EU-Länder sind, wie Montagabend beim EU-Gipfel in Brüssel bekannt gegeben wurde, bereit, sich daran zu beteiligen. Großbritannien und Tschechien sind nicht dabei.

Das wirksamste Druckmittel dafür findet sich in den unverbindlichen, erläuternden Bemerkungen, die dem Vertragstext vorangestellt sind: Wer sich ihm nicht unterwirft, für den gibt es künftig keine Rettungsmittel aus dem 500, bald vielleicht sogar 750 Milliarden umfassenden EU-Währungsfonds ESM. Das steht so auch im letzten Entwurf des Dokuments, welches der „Presse“ am Montag vor Beginn des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel vorlag.

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Merkel: ''Meisterleistung''

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt den Kompromiss zum Sparpakt. Das sei "eine wirkliche Meisterleistung", sagte die Kanzlerin am späten Montagabend in Brüssel. Der Gipfel sei recht erfolgreich verlaufen.

Merkel hob auch die Erklärung der Staats- und Regierungschefs zu mehr Wachstum und Jobs hervor. Die Staaten hätten sich verpflichtet, jungen Menschen innerhalb weniger Monate Angebote für erste Jobs zu machen. Gelder aus EU-Töpfen sollten auch zur Förderung von Klein- und Mittelunternehmen eingesetzt werden.

„Ausgeglichen oder im Überschuss“

Der Zweck des Fiskalpaktes ist schnell erklärt: Die 25 EU-Länder verpflichten sich dazu, eine „Schuldenbremse“ einzuführen.

Das ist eine Regel, wonach die Haushalte der Regierungen „ausgeglichen oder im Überschuss“ sein sollen. Als ausgeglichen gilt ein Haushalt dann, wenn das strukturelle Budgetdefizit höchstens 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung betrifft. „Strukturell“ wiederum ist vereinfacht gesagt jenes Defizit, das ohne Einmaleffekte wie zum Beispiel die Privatisierung von Staatsbetrieben entsteht.

Die Schwächen der Schuldenbremse

Schießt die Neuverschuldung über diese Grenze hinaus, sollen automatische Sparmaßnahmen folgen.
Genau hier liegt die erste Schwäche des Fiskalpaktes. Alle Euroländer sollen diese Schuldenbremse nämlich durch „Vorschriften von bindender Kraft und dauerhaftem Charakter, vorzugsweise verfassungsmäßig, oder auf andere Weise“ einführen, die garantiere, „dass sie während des gesamten nationalen Budgetprozesses voll respektiert und eingehalten wird“. Auf Deutsch heißt das: „Gut, wenn wir uns schon europaweit nicht darauf einigen können, dass wir allesamt die Schuldenbremse in unsere Verfassungen einführen, dann machen wir es doch bitte, bitte so verbindlich wie möglich.“

Die Schuldenbremse kann also auch – so wie derzeit in Österreich – als einfachgesetzliche Bestimmung eingeführt werden, wenn es an einer verfassungsgebenden Mehrheit fehlt. Sie hat aber noch weitere Schwachstellen. Der Fiskalpakt sieht nämlich vor, dass sich die Euroländer in „außergewöhnlichen Umständen“ weiterhin höher verschulden dürfen – also dann, wenn „ein ungewöhnliches Ereignis außerhalb der Kontrolle“ des jeweiligen Staates „eine große Einwirkung auf die finanzielle Position der Regierung hat“ oder in „Zeiten eines schweren wirtschaftlichen Abschwungs“. Klar: In einer Rezession verschärft Sparen die Probleme – siehe Griechenland. Was aber sind „ungewöhnliche Ereignisse außerhalb der Kontrolle“ des jeweiligen Staates? Eine Abstufung durch die Ratingagenturen? Eine große Naturkatastrophe? Dieser Interpretationsspielraum birgt die Gefahr jener unsauberen Kompromisse aus politischer Rücksichtnahme, die den Maastricht-Kriterien des bestehenden Stabilitätspaktes – zumindest bis zu dessen im Vorjahr erfolgten Verschärfung – jede Wirkung genommen haben.

Wobei als letzte Schwäche des neuen Paktes der Umstand zu nennen ist, dass viele seiner Bestimmungen nur das wiederholen, was dieser verschärfte Stabilitätspakt ohnehin schon vorschreibt – etwa die Pflicht, jegliche Staatsschuld, die 60 Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigt, in jährlichen Zwanzigstelschritten abzubauen.

Begrenzte Kontrolle durch den EuGH

Neu ist allerdings die Strafdrohung für das Nichteinführen der Schuldenbremse: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg kann auf Antrag eines Mitgliedstaates und nach Vorlage eines Berichts der Europäischen Kommission eine Geldstrafe von 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung des betroffenen Landes verfügen. Dieses Geld fließt, falls ein Euroland betroffen ist, an den Euro-Währungsfonds ESM, ansonsten ins EU-Budget.

Wenn eine Regierung allerdings bei ihrer Budgeterstellung ihre Schuldenbremse ignoriert, ist dafür nicht der EuGH zuständig, sondern die jeweils national kompetenten Gerichte. Denn eine unmittelbare Kontrolle der nationalen Budgethoheit der Euroländer durch den Europäischen Gerichtshof verbieten die EU-Verträge derzeit ausdrücklich.

Dass man diese Verträge wegen des britischen Vetos nicht ändern konnte, ist der einzige Grund für die Schaffung des Fiskalpaktes.

Teilnahme an Gipfeln der Euroländer

Streit hatte es zuletzt darüber gegeben, inwiefern Nicht-Euro-Länder, die den Pakt unterzeichnen, an Gipfeln der Euroländer teilnehmen dürfen. Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt zufolge sieht ein Kompromiss nun vor, dass sie "mindestens an einem Gipfel jährlich teilnehmen" sowie an solchen Treffen, die sich mit allgemeinen Fragen wie Wettbewerbsfähigkeit befassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2012)

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