Finanzmärkte: Der unheimliche Börsenaufschwung

(c) AP (Richard Drew)
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Trotz Griechenland-Chaos und Konjunktursorgen legten viele Börsen seit Jahresbeginn überraschend stark zu. Ausgelöst wurde die Rally von den Zentralbanken. Diese fluten die Märkte mit billigem Geld.

Wien. Die Analysten aller Großbanken haben kolossal versagt. Die Schweizer UBS riet Anlegern zu Jahresbeginn, bei Aktienkäufen vorsichtig zu sein. Die Experten von Goldman Sachs und der Bank of America sagten für die europäischen Börsen im ersten Halbjahr 2012 Kursverluste voraus. Bislang kam es anders. Weltweit legten die Börsen den besten Jahresauftakt seit 1994 hin. In Brasilien stieg der Leitindex um mehr als 20 Prozent. Der deutsche DAX verbuchte im Jänner mit knapp 15 Prozent den höchsten Zuwachs seit der Einführung des Börsenbarometers im Jahr 1988. Auch in Wien konnten sich Anleger heuer über ein Plus von bis zu 16 Prozent freuen.

Zwar haben die Aktienmärkte am Montag und Dienstag eine Pause eingelegt. Doch immer mehr Analysten revidieren ihre Prognosen für das laufende Jahr nach oben. Die Schweizer Bank UBS meint, dass sich die Rally fortsetzen wird. Die Bank Austria veranstaltete am Dienstag eine Pressekonferenz unter dem Titel: „Mit frischem Wind ins neue Jahr: Aktien feiern ein Comeback.“

Wie passt das alles zusammen? Seit zwei Jahren ist die Welt Zeuge der griechischen Schuldentragödie, die in einer Staatspleite samt ungeahnter Folgen enden könnte. Warum decken sich Investoren trotzdem mit Aktien ein? Für den Börsenboom gibt es im Wesentlichen zwei Erklärungen:

Der Kursanstieg wird von Zentralbanken ausgelöst, die seit Monaten billiges Geld in großen Mengen bereitstellen. Am 22. Dezember 2011 stellte die Europäische Zentralbank mehr als 500 Finanzkonzernen 489 Milliarden Euro für drei Jahre zur Verfügung. Die Banken zahlen dafür ein Prozent Zinsen. Die Währungshüter wollten erreichen, dass die Banken Staatsanleihen hoch verschuldeter Euroländer aufkaufen. Was sie auch taten, die Risikoaufschläge für italienische und spanische Staatsanleihen sanken deutlich.

Das Risiko für die Banken ist gering: Für zweijährige italienische Staatsanleihen erhalten sie eine Rendite von über drei Prozent, abzüglich der Zinsen für den EZB-Kredit liegt die Gewinnmarge bei zwei Prozent. Die Finanzspritzen der Zentralbanken sind so riesig, dass die Banken nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Aktien kaufen, nicht zuletzt jene der eigenen Institute. Ende Februar wird die EZB mit einem Dreijahrestender die nächste Finanzspritze aufziehen.

Optimismus macht sich breit

Solche Aktionen sind nicht ohne Risiko. Die US-Notenbank Fed pumpte nach dem Platzen der Internet-Blase 2001 Unsummen in die Märkte. Das führte zur nächsten Blase, jener auf dem US-Immobilienmarkt. Zudem müssen die Banken, die sich jetzt mit Geld eingedeckt haben, der EZB die Milliarden wieder zurückzahlen.

Die Analysten der Royal Bank of Scotland bezeichnen die EZB-Geldschwemme als „schmerzstillendes Mittel mit Nebenwirkungen“. Sie vermuten, dass die Partystimmung nach dem Dreijahrestender Ende Februar bald wieder aus sein wird.

Ein weiterer Grund für den guten Börsenstart im Jänner ist der zunehmende Optimismus vieler Anleger. Laut einer am Dienstag vom "Handelsblatt" präsentierten Umfrage unter 1000 institutionellen Anlegern sehen 48 Prozent mehr Chancen als Risken. Nur 30 Prozent der Börsenprofis sind pessimistisch eingestellt und glauben, dass die Risken überwiegen.

Im Vorjahr sind viele europäische Börsen besonders stark gefallen. Trotz des Aufschwungs im Jänner sind die Aktien nach Ansicht von Analysten noch immer günstig bewertet. Zwar haben so gut wie alle Ökonomen ihre Prognosen für das weltweite Wirtschaftswachstum nach unten revidiert. Trotzdem ist die Situation nicht so schlimm wie 2008, als die US-Immobilienkrise und die Pleite von Lehman Brothers die schwerste Rezession in der Nachkriegszeit ausgelöst haben. Analystenschätzungen zufolge sollen die 30 deutschen DAX-Konzerne heuer einen Nettogewinn von 74 Milliarden Euro erwirtschaften. Das ist eine Milliarde mehr als 2011.

Politik entscheidet über Börsen

Bei allem Optimismus gibt es aber auch einen nicht zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor: Die meisten Prognosen wurden unter der Annahme erstellt, dass die Griechen in der Eurozone bleiben werden. „Niemand weiß, was bei einer Pleite Griechenlands passieren wird“, warnt Monika Rosen von der Bank Austria. Ob ein Staatsbankrott auf den Finanzmärkten einen Kurssturz auslösen könnte oder schon eingepreist sei, „weiß man einfach nicht“.

Rosen glaubt, dass derzeit die Politik „mehr denn je das Geschehen an den Börsen bestimmt“. Die Bank-Austria-Expertin empfiehlt daher, US-Aktien zu kaufen. Denn die US-Notenbank garantiert, bis 2014 die Niedrigzinspolitik beizubehalten. Außerdem gehen im November in den USA die Präsidentschaftswahlen über die Bühne. Und Wahljahre sind in den USA traditionell gute Börsenjahre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2012)


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