"Athen ist heute schon zahlungsunfähig"

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Griechenland könne sich nicht länger auf Schuldenbasis finanzieren, da der Anleihenmarkt erstarrt ist, sagt der ING-Anleihen-Experte Alessandro Giansanti.

Wien/Amsterdam . Die (indirekten) Forderungen nach einem Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone wurden in den vergangenen Wochen immer lauter. Welche Konsequenzen aber hätte ein solches Szenario? Und würde die Währungsunion ohne Hellenen tatsächlich besser dastehen?

„Es ist im Interesse beider Parteien, dass Griechenland in der Eurozone bleibt“, sagt dazu der Anleihen-Stratege Alessandro Giansanti von der ING-Bank in Amsterdam zur „Presse“. Zwar würde Griechenland im Falle eines Ausstiegs kurzfristig von der Währungsabwertung profitieren, was auch die Wettbewerbsfähigkeit des Landes verbessern würde – mittelfristig aber würde ein Anspringen der Inflationsraten diese Gewinne mehr als wettmachen. „Der Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion würde einen Präzedenzfall für die Eurozone schaffen und könnte eine Ansteckungsgefahr für andere Staaten – zuerst wohl für Portugal – bedeuten“, warnt Giansanti.

Ohne weitere finanzielle Unterstützung ist Griechenland am 20. März bankrott: Denn da muss es 14,5 Milliarden Euro an Altschulden ausbezahlen. Insgesamt werden heuer Schulden in Höhe von 49 Milliarden Euro fällig.

„Arbeitsmarkt unproduktiv“

„Um es ganz klar zu sagen: Griechenland ist natürlich schon heute zahlungsunfähig“, sagte Giansanti. „Das Land kann sich nicht länger auf Schuldenbasis finanzieren, da der Anleihenmarkt erstarrt ist.“

Die Sparmaßnahmen, die nun so schnell wie möglich einen Budgetüberschuss produzieren müssen, führen allerdings bereits dazu, dass die interne Nachfrage sinkt, was das Land in eine tiefe Rezession stürzen wird. Doch auch auf steigende Exporte könne Athen sich nicht verlassen – dazu sei der griechische Arbeitsmarkt zu wenig wettbewerbsfähig und unproduktiv, gibt Giansanti zu Bedenken.

Der dringend benötigte Schuldenschnitt in Höhe von kolportierten 70 Prozent wird vor allem griechische Banken treffen. Sie müssten sofort rekapitalisiert werden. Geldinstitute in der restlichen Eurozone wären dagegen nur limitiert betroffen. Dass sich so gut wie alle Gläubiger an dem Haircut beteiligen, wie vom IWF gefordert, sei angesichts der Anwesenheit von Hedgefonds an den Verhandlungen unrealistisch, meint der ING-Analyst. Wenn nicht mindestens 80 Prozent der Investoren die Bedingungen akzeptierten, bestünde das Risiko eines Zwangsumtausches. Jedenfalls aber solle auch die EZB an den Schuldenschnitt-Verhandlungen teilnehmen und mithelfen, den griechischen Schuldenstand zu reduzieren, so Giansanti.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2012)


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