Monti gibt Frankreich und Deutschland Schuld an der Krise

(c) AP (Junji Kurokawa)
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Neun Jahre nach dem Bruch des Stabilitätspakts sind die Wunden nicht verheilt. Deutschland und Frankreich haben zu Beginn der Währungszone die Regeln verletzt.

Tokio/Brüssel/Ag/Wb. Italiens Ministerpräsident Mario Monti trägt den Ärger schon seit Jahren mit sich herum. Doch anlässlich einer Rede in Tokio zur wirtschaftlichen Situation in Europa ging ihm jetzt das Herz auf: „Wenn der Vater und die Mutter der Eurozone die Regeln verletzen, kann man natürlich nicht erwarten, dass sich Griechenland daran hält.“ Monti gibt Berlin und Paris erstmals offen die Schuld für die heutige Euro-Schuldenkrise und erinnerte daran, dass vor neun Jahren Frankreich und Deutschland den Euro-Stabilitätspakt gebrochen hatten. Es war eine Zeit, in der er als EU-Binnenkommissar erfolglos für scharfe Sanktionen gegen die beiden Budgetsünder eingetreten war.

Durch eine von beiden Ländern erzwungene Entscheidung der EU-Finanzminister blieb dieser Pakt-Bruch einst ohne Folgen. Trotz gegenteiliger Empfehlungen der EU-Kommission ließen die Regierungsvertreter Paris und Berlin das überhöhte Defizit durchgehen.

Heute sagt Monti, der in seiner Heimat Italien einen strengen Sparkurs eingeleitet hat: „Damit ist anderen Ländern ein schlechtes Beispiel gegeben worden.“ Tatsächlich wurde in Folge der Stabilitätspakt aufgeweicht. Zu hohe Neuverschuldungen von Euro-Ländern blieben ohne Konsequenzen.

Der Entscheidung der EU-Finanzminister sind 2003 freilich schwere Spannungen innerhalb der EU-Kommission vorangegangen. Denn nicht alle Kommissare waren von Beginn an für eine so harte Linie gegenüber Deutschland und Frankreich eingetreten. Der damalige Erweiterungskommissar Günter Verheugen soll mehrfach darauf hingewiesen haben, dass es sich lediglich um eine kurzzeitige Verwerfung im deutschen Budget handle und mit den eingeleiteten Reformen in seiner Heimat zusammenhänge.

2003 hatte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Agenda 2010 eingeleitet – einen radikalen Reformplan für Sozialstaat und Wirtschaft. Deutsche Regierungsvertreter weisen noch heute darauf hin, dass die EU-Kommission den damaligen Reformwillen Deutschlands hätte anerkennen müssen. Wie es außerdem aus deutschen Kreisen heißt, war es gerade Mario Monti, der damals das Strafverfahren in der Kommission gemeinsam mit Währungskommissar Pedro Solbes vorangetrieben habe. Nicht nur sein deutscher Kollege Verheugen, sondern mehrere Kommissare hätten dagegen argumentiert.

EZB warnte damals vor Risiken

2002 kam Deutschland auf ein Defizit von 3,8 Prozent, Frankreich auf 3,1 Prozent. Im Folgejahr stieg das deutsche Defizit auf 4,2 Prozent und das französische auf 4,1 Prozent. Damit brachen beide Länder zwei Jahre hintereinander den Euro-Stabilitätspakt, der eine Defizit-Obergrenze von maximal drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung erlaubt. Laut Stabilitätspakt muss die Kommission gegen Länder mit einem überhöhten Defizit ein Verfahren einleiten. Dem Land wird in diesem Fall zehn Monate Zeit gegeben, seinen Haushalt wieder in Ordnung zu bringen. Gelingt das nicht, muss das Land einen Beitrag von 0,2 bis 0,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung als Strafe hinterlegen. Bringt es sein Budget innerhalb von drei Jahren in Ordnung, erhält es das Geld zurück. Wenn nicht, fließt dieses Geld an jene Euro-Länder, die kein überhöhtes Defizit aufweisen. Es gibt aber besondere Gründe wie etwa Umweltkatastrophen, in denen auf ein Verfahren verzichtet wird.

Als Deutschland und Frankreich im November 2003 einen Freibrief für ihr Defizit erhielten, reagierte aber nicht nur die EU-Kommission enttäuscht. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) warnte vor „ernsten Risken“ für den Euro-Raum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2012)

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