Schuldenkrise: Europas Wettlauf ums Wachstum

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Ein Sondergipfel soll Wege zum Wachstum ergründen, denn es zeigt sich: Ohne Hilfe des Nordens kann Europas Süden seinen Rückstand nie aufholen. Die Wachstumskluft zwischen Nord und Süd vertieft sich.

Brüssel. Die Aussicht auf Neuwahlen im wirtschaftlich und sozial schwer zerrütteten Griechenland sowie der Einzug des Sozialisten François Hollande in Frankreichs Präsidentenamt haben die Brüsseler Eliten aufgeschreckt. Sie verstärken nun ihre Bemühungen darum, nicht als hartherzige Spardiktatoren dazustehen, und rücken ihre Vorschläge zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums in Europa in den Vordergrund.

Herman Van Rompuy, der Präsident des Europäischen Rates, verkündete am Dienstag die Einberufung eines informellen Gipfeltreffens am 23.Mai. Bei einem Abendessen wolle er mit den Staats- und Regierungschefs über Wachstum sprechen. Ebenfalls am Dienstag trat José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, vor die Medien, um ein größeres EU-Budget und Strukturreformen zu fordern.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Nichts davon ist neu. Barrosos Forderung an die EU-Chefs, sich endlich auf das EU-Patent zu einigen, hat Van Rompuy fast wortgleich vor einer Woche formuliert. Van Rompuy hatte ebenfalls schon angekündigt, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) beim nächsten planmäßigen Gipfeltreffen Ende Juni zehn Milliarden Euro Kapitalerhöhung erhalten werde. Am Freitag hatte er erklärt, diese Mittel würden es der EIB ermöglichen, in den nächsten drei Jahren zusätzliche 60 Milliarden Euro an Krediten zu vergeben. Damit würde das gesamte Volumen der EIB-Ausleihungen auf 180 Milliarden Euro steigen.

Wenn man dazu noch diverse bisher nicht ausgeschöpfte Mittel aus den EU-Strukturfonds dazurechnet und die Idee von „Projektanleihen“ (bei denen das EU-Budget für private Investitionen haftet) addiert, kommt man ungefähr auf 200 Milliarden Euro an direkten und indirekten staatlichen Förderungen. Das ist jene Zahl, die neulich die spanische Zeitung „El País“ zitiert hatte, als sie schrieb, dass ein neuer „Marshallplan“ gebastelt werde, was von der Kommission postwendend dementiert wurde.

Das Wettrennen zwischen Barroso und Van Rompuy darum, wer als Erster mit dem Thema Wachstum in die Schlagzeilen kommen mag, lenkt allerdings von einem schweren Problem ab: Die kriselnden Staaten können ohne Hilfe des reichen Nordens wohl nie an Wettbewerbsfähigkeit aufholen. Paul de Grauwe von der London School of Economics hat berechnet, dass zum Beispiel in Griechenland die von Brüssel und Internationalem Währungsfonds verordneten Lohnkürzungen dazu geführt haben, dass schon 75Prozent der verlorenen Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen seien.

Schwerer Kater nach den Boomjahren

Zur Erinnerung: In den Jahren seit der Einführung des Euro waren in Griechenland, Portugal, Italien, Spanien und Irland die Verschuldung und die Lohnstückkosten rasant gestiegen. Verlockt durch die niedrigen Zinssätze, die der Euro allen schenkte, hatte man über seine Verhältnisse gelebt. Manchmal türmten sich Banken und Verbraucher untragbare Schulden auf; in Irland und Spanien zum Beispiel. Manchmal blähte sich das Staatswesen bis zum Kollaps auf; so in Griechenland.

Auch in der Linken Europas wird nicht ernsthaft bestritten, dass das kreditfinanzierte erste Jahrzehnt des Euro eine Wurzel des heutigen Problems ist. Die bisher politisch dominierende Strömung, angeführt von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, sieht das ohnehin so. Sie verschreibt den Krisenstaaten eine Rosskur nach Vorbild jener Arbeitsmarktreformen, die Deutschland durchführte, um zu seiner heutigen internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu gelangen.

Schulden müssen sinken

De Grauwe legt nun aber den wunden Punkt dieser Sichtweise offen: Die Länder mit hartnäckigen Leistungsbilanzdefiziten tragen fast ganz allein die gesamte Last der Nivellierung ihrer Ungleichgewichte gegenüber Überschussländern wie Deutschland oder Österreich.

Einfacher gesagt: So stark können die Gehälter der Griechen gar nicht sinken, dass sie irgendwann so wettbewerbsfähig werden wie die Deutschen. Und selbst wenn: Wohin sollten sie ihre Dienstleistungen und Waren denn verkaufen? Kommissionschef Barroso weicht dieser Frage ebenso beharrlich aus wie Ratspräsident Van Rompuy. Zumindest in einem Punkt sind sie sich einig: Die Staatsschulden müssen europaweit sinken. „Jeder Euro, der für den Zinsendienst ausgegeben wird, ist ein Euro weniger für Arbeitsplätze und Wachstum“, formulierte das Barroso.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2012)

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