Klaus Regling, Chef des Rettungsvehikels EFSF, hält wenig von angelsächsischen Professoren und einem griechischen Euro-Austritt. Im Notfall müsse die EFSF eben auch Spanien und Italien retten, meint Regling.
"Die Presse": Wird Griechenland in zwölf Monaten noch Teil der Eurozone sein?
Klaus Regling: Das hoffe ich. Es liegt an Griechenland selbst, ob es den Prozess der schwierigen Anpassung weitergeht. Die jüngsten Wahlergebnisse haben die Lage sicherlich schwieriger gemacht.
Finanzinstitute wie die Citibank sprechen von einer mehr als 50prozentigen Chance, dass die Griechen die Eurozone verlassen. Welche Prozentzahl würden Sie nennen?
Es macht wenig Sinn, eine konkrete Zahl zu nennen. Der Euroraum möchte, dass Griechenland dabei bleibt. Es sind sehr große Unterstützungsprogramme finanziert worden und die privaten Gläubiger haben auf Forderungen von 107 Mrd. Euro verzichtet. Griechenland hat eine Chance, mit der richtigen Reformpolitik wieder eine tragbare Schuldensituation zu erreichen. Wenn das Land Sparkurs und Strukturreformen durchhält, wird es von Europa auch weiterhin unterstützt werden.
Und wenn nicht?
Darüber soll man im Moment nicht spekulieren. Wir warten nun ab, ob es eine Regierungsbildung gibt. Wenn nicht, wird es Neuwahlen geben und dann werden wir weitersehen.
Nehmen wir an, Griechenland verlässt den Euro. Sie und andere sprechen oft von „katastrophalen Folgen", ohne Details zu nennen. Wie schlimm wäre ein Austritt tatsächlich?
Es wäre die teuerste Lösung für alle Beteiligten. Das ist der Grund, warum die Regierungen des Euroraums alles tun, damit Griechenland dabei bleibt. Der GAU muss vermieden werden. Laut einer Studie der UBS-Bank würde ein Austritt Griechenlands die europäischen Steuerzahler im ersten Jahr zumindest 100 Milliarden Euro kosten. Möglicherweise auch deutlich mehr, weil etwaige Folgekosten nicht klar absehbar sind.
Die Hilfsprogramme der EU sowie die Geldpolitik der EZB haben das Risiko für die Steuerzahler beträchtlich erhöht. Haben Sie die teuerste Lösung durch ihre bisherige Hilfspolitik aktiv herbei manövriert?
Nein, es ist genau andersrum. Zu Beginn der Krise wäre es teurer gewesen, nun haben sich die Marktteilnehmer besser auf alle Eventualitäten eingestellt. Aber es ist weiterhin sinnvoll, Griechenland zu helfen. Ein Austritt aus dem Euro würde zu einer Verelendung in Griechenland führen. Es kann und darf uns als Europäer nicht egal sein, wenn ein Land an unserer Südostflanke im Chaos endet. Ganz abgesehen davon müssten die zentral- und westeuropäischen Banken erhebliche Verluste einstecken.
Viele Ökonomen sagen, ein Verbleib im Euro kann nicht funktionieren, weil es dem Land an Wettbewerbsfähigkeit fehlt. In der Vergangenheit wertete das Land die Drachme regelmäßig ab, in der Eurozone geht das nicht mehr.
Das ist so eine typische Sicht, die oft von angelsächsischen Professoren kundgetan wird. Das trifft die europäische Wirklichkeit überhaupt nicht. Griechenland ist doch gerade dabei, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
In welchen Bereichen?
Ganz grundsätzlich. Das kann man anhand verschiedener Indikatoren ablesen. Die Exporte steigen, obwohl die Gesamtwirtschaft schrumpft. Man kann mit den richtigen Reformen einen guten Aufholprozess in Griechenland in Gang setzen. Erste Anfangserfolge sind schon da.
Können Sie einen konkreten Bereich nennen, in dem Griechenland international wettbewerbsfähig ist?
Die Einkommen sinken um 20 bis 30 Prozent. Damit sinken die Kosten und viele Produkte werden günstiger. Ich höre oft, dass die Griechen nichts exportieren können, aber das ist Unsinn. Es gibt Potenzial in der Landwirtschaft, im Schiffsbau, in der Sonnenenergie und natürlich im Tourismus.
Die Rendite auf zehnjährige spanische Staatsanleihen ist vergangene Woche wieder auf mehr als sechs Prozent angestiegen. Reicht die Feuerkraft der EU aus, falls auch Spanien kein Geld mehr von den Investoren bekommt?
Die Feuerkraft, wenn man alle zugesagten Mittel auf europäischer Ebene addiert, beträgt 1,2 Billionen Euro. Das inkludiert den Schutzschirm des EFSF beziehungsweise künftig des ESM, sowie zugesagte zusätzliche Ressourcen für den Internationalen Währungsfonds. Davon sind mehr als 800 Mrd. Euro nach wie vor verfügbar. Das reicht für alle denkbaren Fälle aus.
Die Euroländer müssen heuer Schulden von 800 Mrd. Euro refinanzieren, 2013 von mehr als 900 Mrd. Euro.
Es nimmt doch niemand an, dass Länder wie Deutschland und Österreich ihren Finanzbedarf nicht selbst decken werden können.
Und wenn sich die Lage in Spanien und Italien weiter verschlechtert?
Für Länder wie Spanien und Italien hätten wir genügend Mittel zur Verfügung. Der Refinanzierungsbedarf für ein Jahr ist geringer als die Feuerkraft der EFSF. Ich möchte aber betonen, dass ich nicht davon ausgehe, dass diese Länder diese Mittel tatsächlich benötigen werden.
Gehen Sie davon aus, dass die Steuerzahler einen Großteil der bisher geleisteten Hilfen wiedersehen werden?
Ja, nehmen wir Irland und Portugal als Beispiel. Irland ist eine Erfolgsgeschichte. Die Iren haben das Leistungsbilanzdefizit in einen Überschuss verwandelt, sind wieder wettbewerbsfähig, weil sie die Löhne reduziert haben. Und auch Portugal erfüllt alle Auflagen, das hat die Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds erst kürzlich wieder bestätigt.
Bleibt neben Griechenland vor allem Spanien. Das Land verfehlte sein Defizitziel für 2011 klar und muss eventuell 100 Mrd. Euro oder mehr für die Rettung seiner Banken ausgeben.
Der Start der neuen Regierung war etwas holprig. Aber das hat sich gebessert. Ministerpräsident Rajoy, der das Amt im Dezember übernommen hat, will die Ausgaben deutlich strikter kontrollieren als die Vorgängerregierung.
Und wenn das nicht gelingt?
Nur über negative Szenarien zu spekulieren bringt doch nichts. Reden wir doch nicht ständig irgendwelche Katastrophen herbei.
Zur Person
Der Deutsche Klaus Regling ist Chef des Hilfsvehikels EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität). Zuvor arbeitete der 61jährige unter anderem für das deutsche Finanzministerium, wo er für die Euroeinführung zuständig war. Zwischenzeitlich war Regling auch als Chef der Europäischen Zentralbank im Gespräch – der Job ging schließlich an Mario Draghi.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12. Mai 2012)